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Dr. Lothar Jahn
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CD des Monats Dezember 2016
FLOR ENVERSA
Alvernha (Enversa)
Sie
sind ein Wunder: Innig versunken in sphärische Botschaften aus
versunkenen Tagen geben sie sich dem Klang hin. Thierry, der sich vom
Klang seiner Flöten davon tragen lässt und sich in Texte und
Melodien vertieft, ohne spürbare Anstrengung in der Stimme,
hingegeben an den Dienst an dieser Musik wie einst der beste Trobador
an seiner Dame. Olivier mit seinen verspielten selbst gebauten
Saiteninstrumenten, deren Klang so rasch verfliegt, zuvor aber
nachdrücklich die nötigen Akzente setzt. Und
schließlich die schneeewittchengleiche Domitille mit ihrem meist
zarten, manchmal aber auch beherzten Bogenstrich, die nur dann die
Stimme erhebt, wenn die Trobairitz zu Worte kommen sollen.
Authenzität ist bei Flor Enversa keine aufgesetzte Attitüde,
es ist das, was ihnen die angeborene Demut gebietet. Nun liegt bereits
das vierte Album im "corporate design" vor, diesmal in türkis,
diesmal geht es um die Sängerinnen und Sänger der Auvergne
aus dem 12. und 13. Jahrhundert: Sie tragen Namen wie Peirol, Monge de
Montaudon, Perdignon und Na Castelosa, Namen, die allein schon Musik
sind. Flor Enversa gestalten ihre Werke in der ihnen eigenen Achtung
vor der Wirkung von Ton und Wort, mal im herrlichsten Unisono von
schwebender Leichtigkeit, dann wieder im improvisatorischen
Umschmeicheln des überlieferten Materials. Flor Enversa schaffen
den Zugang zu dem Erhabensten, was diese Zeit an Idealen zu bieten hat:
die geistige Substanz, hinter der das oft blutige, eigensinnige,
kleinklämerische Alltagshandeln der Fürsten und ihrer
Untertanen in dieser unruhigen Zeit verblasst. Ist das Magie? Ist das
Frömmigkeit? Auf alle Fälle: ein Wunder! (lj)
> Die CDs gibt es hier.
CD des Monats November 2016
CHRISTIAN REDL
Louise (Goldbek Rekords)
Der
in Kassel aufgewachsene Schauspieler Christian Redl (Der Untergang, Der
Haammermörder, Die Päpstin) hatte schon immer Freude am
Singen und Rezitieren zur Musik. So widmete er sich schon deutschen
Schauerballaden (2009) und Baudelaires "Blumen des Bösen" (2010).
So war der Weg zu Villon nicht weit, zumal er dem bedeutendsten Dichter
des Spätmittelalters 2003 bereits ein musikalisches
Hörstück gewidmet hatte. Glücklicherweise versucht Redl
nicht, die wahnsinnsnahen Kinski-Interpretationen Villons zu imitieren.
Er stellt ihn als einen fast altersweisen Rebellen da, der nachdenklich
auf sein Leben zurückblickt. Die Umsetzung der eher düsteren
Balladen aus dem 15. Jahrhundert ist in der Klangsprache aber weit
entfernt von mittelalterlichen Tönen: Dezente Blues- und
Rocktöne untermalen die mehr gesprochenen als gesungenen Verse
Villons, wobei die Stimme immer im Mittelpunkt steht. Stellenweise
erinnert das Ganze an Achim Reichel, kommt aber gebrochener und
versonnener auf den Plattenteller. Musikalisch stehen Redel echte
Könner zur Seite: der herausragende E-Gitarrist Marco Schmedtje,
der Cellist Hanno Kuns, der Schlagzeuger Martin Engelbach, sowie Stefan
Wulff und Hinrich Dageför von Ougenweide, die Redl auch
kompositorisch zur Seite standen. Die Musik der beiden letzten
Stücke stammt noch vom 2010 viel zu früh verstorbenen
Ougenweide-Musikmagier Frank Wulff. Sie bilden ein traurig-schönes
Finale des gelungenen Albums. Am Schluss flüstert Redl nur noch
voller Todessehnsucht zu betörend-fernen Klängen. (lj)
> CD bestellen bei Goldbek Rekords.
CD des Monats Oktober 2016
TANDARADEY
Bordunissimo (STP Records)
Das
österreichische Ensemble Tandaradey um Manfred Hartl,
Publikumssieger 2015 beim Falkensteiner Minneturnier, widmet sich seit
vielen Jahren mit großer Begeisterung volkstümlicher und
höfischer Musik vergangener Zeiten. Im Gegensatz zum herrlichen
Minne-Album "Haimlich und überlaut" ist "Bordunissimo" auf
den Tanzplätzen zu Hause, nicht in den geheizten Sälen der
Schlösser. Alles kommt sehr ursprünglich und zupackend daher,
immer wieder reißt einen der Humor Hartls mit. Die Beispiele der
bordun-orientierten Musik reichen vom späten Mittelalter bis hin
zu Bellman und Silcher, vom Glogauer und Lochamer Liederbuch bis hin zu
zeitgenössischen Umsetzungen uralter Texte. Mal folkig-frech, mit
deutlich alpenländischer Note, dann aber auch wieder um
historisch-authentischen Klang bemüht, vor allem wenn Sackpfeife,
Drehleier und Scheitholt erklingen. Aber auch Darabukka, Glockenspiel
und sogar ein "Cognacschwenker in B" finden Verwendung. Der Ansatz der
fröhlichen Produktion war es nach eigenen Worten, im Gegensatz zu
anderen Programmen des Ensembles, "mit der
größtmöglichen Freiheit an das vorhandene Material
heranzugehen". Dabei wurde oft sogar bewusst auf Notenmaterial
verzichtet, sondern die Arrangements nach dem Gehör aus der
Erinnerung und mit viel Lust an der Improvisation zu entwickeln. Daraus
entstand ein spielmännisch-frisches Musizieren. Klassikern wie "Es
hatt ein Bauer", "Unser liebe fraue", "Ich spring an diesem Ringe" und
"Heißa Kathreinerle" stehen auch echte Entdeckungen wie Bellmans
Todeslied, der "Stolperstein" und das "Schloss aus Österreich" in
einer Kombination aus der Glogauer Fassung und der heute
gebräuchlichen Version gegenüber. (lj)
> CD bestellen für 15 Euro plus 3 Euro Versand.
CD des Monats September 2016
LES HAULZ ET LES BAS
Ars supernova (Ahalani Records)
Wer
mittelalterliche Bläserklänge - egal ob feierlich oder
tänzerisch - liebt, kommt an Les Haulz et les Bas um Ian Harrison
und Gesine Bänfer nicht vorbei. Sie haben den Klang der Alta
capella verinnerlicht und widmen sich mit Klangkultur, aber auch
höchster Begeisterung und Spielwitz dieser alten Tradition. Nun
sind die beiden schon seit Jahren immer wieder auch auf
Grenzgängen unterwegs: Ihre Ausflüge ins Folk-Genre auf den
Spuren Robin Hoods und der Nordländer gingen zu Herzen. Nun wird
die "Ars nova" zur "Ars supernova": Gemeinsam mit ebenso genialen
Partnern aus der Jazz-Szene
überführt man bekannte Melodien wie "Douce dame jolie",
"Chançoneta tedescha" und "Das nachthorn" des Mönchen
von Salzburg in ausgedehnte Improvisationen und legt moderne Grooves
darunter: Die Schalmei wechselt sich mit dem Saxophon ab, "La
rotta"begeistert im Balkan-Sound, die Modi der Kirchentonarten werden
in Blues-Skalen überführt, bis man wieder gemeinsam beim
Grundthema aus alter Zeit endet. Das erstaunlichste ist, dass das
ganze so natürlich klingt - nicht wie ein kalkuliertes Crossover,
sondern ganz entspannt und voller Spielfreude. Aber "Les Haulz"
gehören ja ohnehin nicht zur steifen Fraktion des edlen, klaren
Klosterklanges, ihre Konzerte explodieren seit jeher vor Spielfreude.
Das passt gut zum Musizieren, wie es die neuen Mitwirkenden aus der
Jazz-Szene gewohnt sind: allen voran Mike Schweizer an den Saxophonen,
der einen tollen Gegenpart zu Harrison abgibt, aber auch Miguel
Tantos (Posaune) und Thomas Bergmann (Gitarre). Alta-capella- und
Montalbâne-Veteran Michael Metzler hält auch im ungewohnten
Umfeld von Swing, Salsa, Reggae und Funk souverän mit seiner
Percussion die Band zusammen. Mit dem Programm gewann die Gruppe
übrigens den Publikumspreis des Erzgebirge-Musikfestivals und
erhielt dadurch die Chance, unterstützt von Deutschland Radio
Kultur dieses quirlige Album aufzunehmen. (lj)
>> CD bestellen beim Ensemble.
CD des Monats August 2016
KORYDWENN
Jardin secret (www.korydwenn.fr)
Die
in Wolfhagen lebende Französin Claire Bénard alias
Korydwenn hat als Sängerin zur Leier nicht nur in ihrem
Heimatland, sondern auch hierzulande schon einen guten Namen. Nun gibt
es endlich auch ein Album von ihr, finanziert durch ein
Crowdfunding-Projekt. Es enthält hauptsächlich
franzsösischsprachige Lieder der Trouvères-Tradition. Sie
bietet diese mit ihrer warmen, anschmeichelnd zärtlichen Altstimme
in schlichten, aber wirkungsvollen Arrangements dar. So trägt sie
das Frühlingslied "En avril au tens pascour" a cappella zu
Vogelgezwitscher vor. Das berühmte Maien-Chanson "Saderaladon",
wahrscheinlich Vorbild zu Walthers Lindenlied, singt sie im Gegensatz
zur schmissigen Interpretation der meisten Kollegen in einer frei
gestalteten Sangweise, um den Traumcharakter zu unterstreichen. "Quant
voi la flor nouvele" aus dem 12. Jahrhundert kommt dagegen mit
fröhlichem Drive zur Geltung. Das begleitende Gardon wird –
wie auch später Flöte, Tambourin und Trumscheid – von
Frederike Funke (Poeta Magica) gespielt. Auch Poeta-Chef Holger Funke
ist mit Flöte, Sackpfeife und Drehleier an Bord. Weitere
Unterstützer sind Thomas Breckheimer (Harfe) und David Marquardt
(Flöte und Symphonia). Doch, wie gesagt, die Musiker bringen nur
kleine Farbtupfer ins Spiel, Korydwenn vertraut in ihrem geheimen
Garten auf vor allem die Ruhe und Kraft ihres Gesanges. Die
französische Tradition wird nur gegen Ende des Albums verlassen:
Vorbereitet durch ein Marienlied des Gautiers de Coincy sint Korydwenn
a cappella Hildegard von Bingens "O viridissima virga". Geistlich
klingt das Album mittelhochdeutsch aus mit einem Lied vom letzten
Abendmahl: "Ich sach in einen garten gan" aus der Feder des
großen Frauenlob. Im Gegensatz zur sphärischen
Hildegard-Präsentation gibt es zur betörenden Melodie von
Frauenlobs "Anckelwyse" aus der Colmarer Liederhandschrift ein
zupackend rhythmisches Pattern von Leier und dem beeindruckenden Bass
des Trumscheids. Durch die dreifache Wiederholung der Strophe bekommt
die Aufforderung Christi an seine Jünger, in die Welt
hinauszugehen, eine besondere Nachdrücklichkeit. (lj)
>> CD bestellen unter www.korydwenn.fr
CD des Monats Juli 2016
MINNESANGS FRÜHLING
Singet vogel singet (Verlag der Spielleute)
Knud
Seckel und sein Ensemble "Minnesangs Frühling", seit Jahren ein fester
Begriff in der deutschen Mittelalter-Musikszene, legen ihre bislang
ambitionierteste Produktion vor: Im Mittelpunkt von "singet vogel
singet" steht der Minnesänger und Kreuzfahrer Otto von Botenlauben, um
1177 als Sohn des Grafen von Henneberg geboren. Von ihm sind gar keine
Melodien überliefert. Diesem Umstand begegnet das Ensemble mit eigenen
Tonschöpfungen, die breiten Raum für Improvisation bieten, die vor
allem die Gäste Gaëlle Durand (Fidel) und Hadji Ahmed Abdali (Oud)
genial nutzen. Die Neu-Vertonungen von Knud Seckel beziehen zwar
bekannte Modi und melodische Modelle mit ein und spielen manchmal
deutlich auf inspirierende Vorbilder an. So ist das mitreißende Lied
"Die aventiure", das Knud Seckel in diesem Jahr auch beim Falkensteiner
Minneturnier darbot, deutlich angelehnt an die Cantiga de Santa Maria
Nummer 1 "Des oge mais", die in den Zwischenspielen auch zitiert wird.
"Waere Kristes lôn" zitiert dagegen einen "Hit" Seckels, er benutzt für
das Lied die selbe Vertonung wie für Veldekes "Alse di vogelle" (siehe
auch das Album "Ich zôch mir einen falken" des selben Ensembles) nach
Richart de Semilis "Quant le seson renovelle". Beim Schaffen
Botenlaubens fällt der große Anteil von Tageliedern auf: Für die
traurigen Abschiedsszenen zwischen Ritter und Dame beim Ruf des
Wächters am frühen Morgen setzt Seckel mit gleich drei Sängerinnen um.
Neben seiner Frau Susanne Seckel, festes Ensemblemitglied, sind Jule
Bauer (Triskilian) und Claudia Heidl (Musiktheater) mit dabei und
setzen gesangliche Glanzlichter. Mit Walther von der Vogelweide und
Wolfram von Eschenbach bringt Seckels Ensemble auch zwei berühmtere
Zeitgenossen zu Wort. Hier wird der Einfluss des großen
Tagelied-Dichters Wolfram deutlich, dessen "morgenblic" in seiner
geradezu meditativen Stimmung mit Fidel, gotischer Harfe und zärtlichem
Frauengeflüster ein Höhepunkt des Albums ist. Aber auch Walthers
geniales Schmählied auf Gerhard Atze kommt zur rhythmisch-swingenden
Fidelbegleitung sehr gut zur Geltung.(jah)
> CD bestellen für 15 Euro plus 3 Euro Versand.
CD des Monats Juni 2016
NOEMI LA TERRA und ENSEMBLE DONNAFUGATA
La voce della passione (Raumklang)
Die
Stimme des Leidens allein ist es nicht, die hier erklingt, es ist die
Stimme der Leidenschaft. "Passion" hat ja diese Doppelbedeutung, die
hier voll zutrifft. Es darf nicht nur geklagt werden über den Tod
von Jesus, wie es hier in den Lamento-Gesängen aus Sizilien getan
wird, sondern auch die Freude der mittelalterlichen Lauden wird auf
ansteckende Weise deutlich: Der Tod ist nicht das letzte Wort! Für
die Qualität dieser Produktion sorgen nicht nur die
hochkarätigen Musiker Fabio Accurso (Saiteninstrumente,
Flöte, Percussion), Susanne Ansorg (Fidel, bekannt geworden durch
die Ioculatores und seither in unzähligen
Mittelalter-Musikprojekten aktiv) und Peter Rabanser (Dudelsack, Duduk
und Maultrommel, bekannt durch Oni Wytars). Mastermind Noemi La Terra
(Gesang, Drehleier, Kastagnetten) hat sich hier wirklich hervorragende
Begleiter gesucht! Vor allem aber zeigt die einer sizilianischen
Familie entstammende, in Deutschland aufgewachsene Mezzosopranistin
hier stimmgewaltig ihre ganze Leidenschaft für die alte Musik
ihrer ursprünglichen Heimat. Zusätzliche Authentizität
bekommt das Ganze durch die Lamentatori di Montedoro, eine Gruppe
traditioneller sizilianischer Sänger, die das Quartett Donnafugata
hier unterstützen. Eine mitreißende Produktion, die einem
die Begeisterung für die christliche Heilsgeschichte auf
anrührende Weise nahe bringt! (lj)
> CD bestellen.
CD des Monats Mai 2016
SANSTIERCE
Nostre Dame (Talanton)
Die
Kölner Sängerin Maria Jonas hat sich mit dem irakischen
Djoze-Spieler Bassem Hawar und dem Quinternisten und Flötisten
Dominik Schneider zusammengetan, um das einstimmige Repertoire der
Notre-Dame-Schule aufzunehmen. Die Mariengesänge erklingen auf
neue, originelle und multikulturelle Weise, sie schlagen eine
Brücke zwischen Abend- und Morgenland, zwischen christlicher und
islamischer Tradition. Wer weiß schon, dass Maria auch im
Koran eine wichtige Rolle spielt? Der Bogen wird aber noch weiter
gespannt: "Nostre Dame" ist für Sanstierce auch die aus
archaischen Zeiten stammende Muttergöttin, worin Maria Jonas die
Wurzel der Marienverehrung sieht. Die Arrangements der nur mit Melodie
notierten Werke entwickelte das Trio intuitiv aus der reichen Erfahrung
modaler Improvisation und der mündlich überlieferten
arabischen Musiktradition, in der Hawar steht. Seine irakische Fidel
mit ihrem hellen und prägnanten Klang prägt den Sound
dieser Gruppe am meisten. Das Instrument stammt ursprünglich
aus Indien, ist aus einer Kokosnuss-Schale gebaut und ist schon
fünf Jahrtausende alt. Und auch die Quinterne, obwohl seit
dem späten Mittelalter im Abendland beheimatet, hat ihre Wurzeln
anderswo, nämlich im Jemen. Großartig ist auch wieder Maria
Jonas, die mit ihrem Mezzosopran der Marienverehrung Erde und Farbe
verleiht. (lj)
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CD des Monats April 2016
DISCANTUS
Santa Maria (Bayard Musique)
Die
Cantigas de Santa Maria sind das große Weltwunder der
mittelalterlichen Musik. Am Hofe Alphons des Edlen trafen maurische,
christliche und sogar jüdische Musiker aufeinander. Es entstand
ein mehrere hundert Lieder umfassender Corpus, der Marienpreisungen und
volkstümliche, oft vergnügliche Geschichten rund um Auftritte
der heiligenJungfrau im Alltag der mittelalterlichen Menschen enthielt.
Obwohl dabei so unterschiedliche Musiktraditionen zusammenwirken,
erhielt das ganze seinen eigenen "Sound", eine formale
Grundstruktur und Stimmung, die sowohl die einzelnen Lieder, als auch
den Gesamtaufbau prägt. Das französische Ensemble
Discantus um Brigitte Lesne hat sich aus dem gigantischen Werk einige
markante und nicht ganz so oft gesungene Cantigas ausgewählt.
Dazu gibt es zwei Chansons des letzten Trobadors Guiraut Riquier,
der lange zum Hofkreis von Alphons gehörte und wahrscheinlich auch
an den Cantigas mitgewirkt hat, sowie Marienlieder aus verwandten
Traditionen. Die Umsetzungen des 1989 gegründeten, international
bekannten Frauenensembles sind gewohnt vokal-orientiert - sieben
kraftvolle Stimmen hat Britte Lesne zusammen gebracht. Dazu erklingen
Psalter und Harfe, Fidel und Drehleier, sowie ein wenig Percussion und
Glockenklang. Ein Dokument von zeitloser Schönheit. (lj)
CD des Monats März 2016
CAPELLA DE MINISTRERS
Trobadors (Extraplatte)
Die
Capella de Ministrers gibt hier einen guten Überblick über
das Schaffen der Trobadore: 22 Lieder sind zu hören, darunter Hits
wie "Kalenda Maya", "Reis glorios" oder "Tant m'abelis", aber auch
viele weniger bekannte Perlen aus der Überlieferung. Die spanische
Gruppe wurde 1987 vom Gambisten Carles Magraner gegründet und
hatte es sich ursprünglich zur Aufgabe gemacht, das Erbe der
Musik rund um Valencia einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen.
Inzwischen gibt es mehr als 30 Alben der Capella und das Spektrum
reicht weit über die Bewahrung der spanischen Kultur hinaus.
Trotzdem ist es spannend, sich aus Richtung Süden dem Werk der
Trobadors zuzuwenden. Es singt die Sopranistin Ruth Rosique, das
ausgefeilte und inspririerte Musizieren der Instrumentalisten spielt
aber eine weit größtere Rolle als sonst bei den Trobadors
üblich. Besonders herausragend ist Paul Ballesters präzises
und einfallsreiches Percussion-Spiel! (lj)
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CD des Monats Februar 2016
ENSEMBLE FÜR FRÜHE MUSIK AUGSBURG
Mein traut gesell (Christophorus)
Das
Ensemble für Frühe Musik Augsburg ist nun schon mehr als drei
Jahrzehnten stilprägend und innovativ in der Mittelalterszene. Das
besondere ist die direkte und zupackende Art, mit der man sich der
mittelalterlichen Überlieferung zuwendet. Mal heiter und frivol,
dann aber auch wieder mit tiefem Ernst geht man diesmal den Spuren des
Mönchen von Salzburg nach. Ob er wirklich mit dem Erzbischof
Pilgrim II. (Regierungszeit 1365 - 1396) identisch war, wird man wohl
nie erfahren. Zumindest aber hatte dieser Mann neben seiner tiefen
Frömmigkeit (siehe sein bekanntes Weihnachtslied "Josef, lieber
Josef mein" und seine Elisabeth-von-Thüringen-Preisung "Gaude
syon") auch eine weltliche, dem prallen Leben zugewandte Seite. Die
bekommt man hier in den weltlichen Liedern zu hören. Wenn das
Taghorn und das Nachthorn erklingen, wenn das "kchühorn" Knecht
und Magd aus dem Heu treibt, wenn die Liebe fern aller Klischees der
Hohen Minne sinnlich erfahrbar wird, dann weiß man, dass sich
dieser Mönch wenigstens in Wort und Ton gut auskennt in erotischen
Belangen. Und wenn der "herbst mit süessen trawben" lockt,
weiß man, dass Askese für diesen Mönchen nicht das
ganze Leben war. Sprachlich verspielt und musikalisch originell sind
diese Lieder. Ein humorvoller Höhepunkt ist die Falkenlied-Parodie
"Ich het czu hannt gelocket mir", ein augenzwinkernder
Brückenschlag zur Frühphase des Minnesangs. (lj)
> CD bestellen.
CD des Monats Januar 2016
FREIBURGER SPIELLEUT
Pilgerwege (Verlag der Spielleute)
Die
Freiburger Spielleyt sind ein Urgestein der deutschen
Mittelaltermusikszene, geprägt durch die Stimme von Regina Kabis
und die musikalische Vielseitigkeit von Mastermind Albrecht Haaf. Im
CD-Programm von Minnesang.com gibt es nun eins der besten Alben des
Ensembles, im Original erschienen 2000 im Verlag der Spielleute. Auf
diesem Album wird der Jakobsweg, der dank Hape Kerkelings Buch und
seiner Verfilmung mit Hape Kerkeling gerade wieder in aller Munde ist,
musikalisch nachvollzogen. Das beginnt
schon mit "Wer daz elend bawen will", einem alten Lied, das den
beschwerlichen
Weg nach Santiago de Compostella beschreibt. Die weitere Wanderung
umfasst französische, italienische und natürlich reichlich
spanische Lieder und Instrumentalstücke aus dem 13, 14. und 15.
Jahrhundert. In klangschönen Versionen erklingen Klassiker
wie der mitreißende Saltarello, "Mariam matrem" und "Cunti simus"
aus dem Llibre Vermell de Montserrat und natüßlich auch zwei
Cantigas de Santa Maria. Am Ziel erklingt schließlich "Mandad el
comigo" aus den Cantigas de Amigo. Das vom SWR mitproduzierte Album
dokumentiert ein Rundfunkkonzert von 1999 und besticht auch durch seine
Konzertatmosphäre und Lebendigkeit. (lj)
> CD bestellen für 15 Euro plus 3 Euro Versand.
CD des Monats Dezember 2015
Ala Aurea/Ars Choralis Coeln, Les Maries du Rhin (Talanton, WDR)
Eigentlich
liegt die CD schon lange auf meinem Schreibtisch und lockt mit den
herrlichen Antlitzen diverse Marienstatuen. Nun, da Maria wieder durch
den Dornwald geht, ist wohl der richtige Zeitpunkt, das Kleinod zu
würdigen. Dass Marienverehrung so viele Facetten und Gesichter
hat, beweisen nicht nur die Fotos dieser Skulpturen, die in Kapellen am
Rande des Rheines aufgenommen wurden. Gleiches gilt auch für die
hier zusammengetragenen Lieder, die zum größten Teil aus
einer Pergamenthandschrift aus dem späten 15. Jahrhundert stammen,
in der Nähe von Utrecht entstanden und katalogisiert
als "Ms Berlin 190". Die Ursprünge der meisten Lieder sind viel
älter; Ala Aurea und Ars Choralis Coeln unter Leitung der
quirligen Trobairitz Maria Jonas bringen mit großem
Einfallsreichtum die sehr unterschiedlichen Marienhuldigungen zum
Klingen. Da gibt es kurze zündende Tanzlieder im Stile der Carmina
Burana, dann wieder ich ins Jenseits ausdehnende melodische
Meditationen à la Hildegard von Bingen. Vorgeführt wird
auch, dass "Call and Response" zwischen Solist(in) und Chor nicht erst
eine Gospeltechnik ist, sondern schon hinter Klostermauern voller
Begeisterung zelebriert wurde. Die herrlichen Frauen-Chöre im
großartigen Nonnen-Unisono oder in Quint-, Quart- und
Bordunklängen wecken selbst in einem abgebrühten, im
Diesseits verwurzelten Skeptiker mit urprotestantischer Sozialisation
die Sehnsucht nach selbstvergessenem klösterlichem Einklang.
Musikalisch bekommt das Album vor allem durch Hackbrett und die
Michael-Metzler-Glocken Würze, nicht zu vergessen die
fantasievollen Improvisationen von Flöte (Lucia Mense) und Fidel
(Susanne Ansorg). Freunde des Minnesangs werden jubeln bei "Mij lust de
loven hochentlijc" mit seiner unendlich traurigen Melodie, die in
bester Trobadormanier umgesetzt wurde – ein Lied, dessen
weltliche Fassung dem Zwoller Geistlichen Dirc van Herxen von seiner
Magd vorgesungen wurde. Der liebestrunkene Text behagte ihm aber gar
nicht, so dass er zwei geistliche Fassungen in Latein und
Niederländisch schrieb. Herauszuheben ist auch noch die Ballade
von der Heiligen Gertrud, gesungen zu einer alten Balladenmelodie, auf
der auch schon der Tannhäuser gepriesen wurde: Auf augenzwinkernde
und legendenhafte Art wird Wundersames aus dem Leben der im Kloster
Helfta beheimateten Zisterzienserin zusammengetragen. In der Version
des Albums wird der Teufel dabei zu "ene Kölsche Jong", aber keine
Angst: Rechts und links des Rheines gibt es Marien genug, um alles
Böse zu bannen! (lj)
CD des Monats November 2015
Ensemble für Frühe Musik Augsburg: Weihnachten im Mittelalter (Christophorus)
"Et
in terra pax (Geistliche Musik des Mittelalters)" war der etwas
spröde Titel dieses Albums des Augsburger Ausnahme-Ensembles, das
lange nur antiquarisch zu hohen Preisen zu finden war. 2004 legte
Christophorus das Werk unter dem griffigen Titel "Weihnachten im
Mittelalter" neu vor: Zu hören sind nicht die üblichen
Verdächtigen von "Joseph, lieber Joseph" über "In dulci
jubilo" bis hin zu "Es kumpt ein schiff", statt dessen kunstvolle
Motetten und Gesänge von Adam de la Hall bis Oswald von
Wolkenstein, dazu auch hervorragende Beispiele für frühe
Gesänge zur Orgel. Der Schwerpunkt liegt auf Musik des späten
Mittelalters, den klassisch geschulten Instrumentalisten und
Sängern gelingen klangschöne, hervorragend intonierte Perlen
fürs Fest. Innig, besinnlich, manchmal aber auch von frommer
Fröhlichkeit! Es erklingen Laute, Flöte, Fidel, Pommer und
Psalterium im Mittelpunkt steht aber eindeutig die menschliche Stimme.
Sabine Lutzenbergers überirdischer engelsgleicher Gesang wechselt
mit dem eher am Minne-Idiom geschulten, textorientierten Stil der
Kollegen Hans Ganser und Reiner Herpichböhm, wodurch das ganze
sehr abwechslungsreich klingt. Am schönsten jedoch ist der
Chorgesang des Ensembles, vor allem im herrlichen Oswald-Finale "Ave
Mater o Maria". (lj)
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CD des Monats Oktober 2015
Musiktheater Dingo: O Maria Flos Virginum (Dingo Musik und Theater e.V.)
Lange
vergriffen, jetzt in einer Neuauflage wieder da: das dritte
Mittelalter-Album vom Musiktheater Dingo, ein Live-Mitschnitt aus der
Altstädter Kirche Hofgeismar und der Ev. Kirche Nieheim.
Interessant sind schon die unterschiedlichen Klänge der
Kirchenräume: Die Hofgeismarer Kirche mit ihrem beeindruckenden,
warmen Hall auch in den tiefen Lagen gegen den wesentlich kleineren
Kirchenraum in Nieheim, der aber mehr Durchsichtigkeit und Präsenz
in den Höhen bietet. Der archaisch-sakrale Klang aus Hofgeismar
verleiht vor allem den Chorpassagen Würde und
Größe - grandios die titelgebende Antiphon "O Maria Flos
Virginum" in einstimmiger und vierstimmer Version und Chorfassungen von
Walthers Palästinalied und Wizlaws "Dîsiu heilige
zît". Einem Minnelied wie Walthers "Muget ir schouwen" kommt
dagegen der Nieheimer Raum eher entgegen. Dieses wird von Reinhold
Schmidt in neuhochdeutscher Nachdichtung vorgetragen. Aus dem Llibre
vermell sind "Mariam matrem" und "Stella splendens" zu hören, hier
überzeugt die klare Altstimme von Katharina grote Lambers. Die
Sopranistin Dagmar Jahn und der beeindruckend Bass Jochen Faulhammer
bieten eine immer wiederkehrende Suite von Strophen aus den Cantigas de
Santa Maria, zusammengehalten durch den Chorrefrain aus der Cantiga 100
"Santa Maria strela do dia". Etwas sehr gemächlich kommt
Gisbert Ostermanns Version von Neidharts "Meie dîn", das Lied
wurde von Dingo live später spritziger interpretiert. Wizlaws
Spruchmelodie zu "Ô Marîâ, dîn sueze vruht"
wirkt im Chorarragement etwas gekünstelt, im Gegensatz zu seinem
Tagelied, das als überzeugender Weckruf des Ritters, der Abschied
nehmen muss, anrührt. Schlicht und schön schließlich
das traurigster aller Trobador-Lieder: "De moi doleros" von Gillebert
de Berneville, in dem ein Mensch, der die Liebe nie kennenlernen
durfte, von Dagmar Jahn eindrucksvoll besungen wird. (gl)
> CD bestellen bei Minnesang.com für 15 Euro plus 3 Euro Versand
CD des Monats September 2015
Elster Silberflug: Ich fahr dahin/Komm in meinen Rosengarten (Sireena)
Neben
Ougenweide waren Elster Silberflug ein Muss in der
Räucherstäbchen- und Wehende-Kleider-Szene der Siebziger. Nun
hat Sireena die klassischen Alben, die viele noch verkratzt und
verstaubt als Vynil im Wohnzimmerschrank haben, als CD neu aufgelegt.
Barbara und Ulli Freise sind ja auch heute noch von Zeit zu Zeit aktiv,
auf den Mittelaltermärkten der 90er waren sie nach fast einem
Jahrzehnt Pause gemeinsam mit Frederike und Holger Funke unterwegs, die
später Poeta Magica gründeten. Ein Teil der Elster-Musiker
wanderte auch zu Bernies Autobahn Band, währen Ulli Freise lange
als Musiker des grandiosen Zelttheaters Compagnia Buffo durch die Lande
zog. Nun also endlich wieder die Klassiker – "Zum Tanze, da geht
ein Mädel", "Es gingen drei Gesellen", "Klein wild Vögelein"
und "Drei Laub auf einer Linden", deutschsprachiger Folk mit viel Liebe
zum Detail, voll von dem naiv-alternativem Aufbruchsgeist, der die
Siebziger so schön machte. Mit "Laubblätter tanzen" ist auch
eine Nachdichtung des herrlichen Wizlaw-Liedes "Loibere risen" dabei.
Beim Hören dieser Klänge merkt man, wie viel Ruhe und
Bodenständigkeit uns in der Zeit von Smartphone und Internet
verloren gegangen ist. Darauf einen Kräutertee! (lj)
CD des Monats August 2015
TRISKILIAN: Bell'amata – Liebe und Leidenschaft (Selbstverlag)
Triskillian
sind eine der emsigsten Gruppen der deutschen Mittelalterszene, immer
pendelnd zwischen Markt und Konzertsaal, in beiden Bereichen
können sie gut bestehen. Vor Jahren hatten sie ein
wunderschönes Album mit historisch-authentischen
Mittelalterklängen aufgenommen: "Do durch der werlde", die CD
hatte nur einen Fehler: Sie war zu kurz. Nach Ausflügen in andere
Genres, wo Jule Bauers wunderbarer Gesang auf Fantasy- oder
Electro-Klänge traf, nun wieder ein Album in diesem Stil. Diesmal
zum Glück fast eine Stunde lang! Neu im Klangbild ist Philipp
Grebs Cister, die aber im Zusammenspiel mit Christine Hübners
Percussion Dirk Kilians Multiinstrumentarium und Jule Bauers
überirdische Vocals erdet. Hochkarätige Gäste wie Marco
Ambrosini, Ian Harrison und Holger Funke geben den letzten Schliff. Das
Repertoire des Albums umfasst Minne- und Trobairitzlieder mit
Schwerpunkt auf der weiblichen Perspektive, aber auch Geistliches aus
den Cantigas de Santa Maria und dem Llibre vermell. Höhepunkte
sind Beatriz de Dias "A chantar" und Wizlaw von Rügens "Loibere
risen". Einige Klassiker wie des Kürenbergers Falkenlied, die
Carmina-Burana-Nummer "Chume, chum geselle min" und das Trobairitz-Lied
"Quan vei los praz verdesir" werden auf überraschende Art neu
vertont. Schön ist auch, dass die englische Mittelaltermusik, die
hierzulande fast gar nicht erklingt, mit "Bryd one brere" und "Edi beo
thu" ist sie zweimal hervorragend vertreten. Was einem bei der
Vielsprachigkeit fehlt, sind die Texte mit Übersetzung im Booklet
oder wenigstens per Link. Trotzdem: Großartig! (lj)
CD des Monats Juli 2015
Irrlichter: Zaubergarten (Christophorus)
Auf
ihrem aktuellen Album präsentieren sich die einst
fünfköpfigen Irrlichtern nur noch im Dreiklang: Brigitta
Jaroschek, Steffi Keup-Büser und Jutta Simon-Alt locken in ihren
Zaubergarten. Alle drei haben ihr musikalisch-instrumentales Spektrum
erweitert, so dass man nichts vermisst. Hilfestellung gibt es von der
Cellistin Annika Thoma und den Streunern, Martin Seifert hat sogar ein
Lied von der Fee beigesteuert. Der märchenhafte Charakter, den man
nach dem Titel schon erwartet hatte, zieht sich durchs ganze Album -
Elfen, Lindwürmer und Nixen geben sich die Klinke in die Hand. Ein
wenig mittelalterliches Flair gibt es dann doch noch mit dem "Lorscher
Bienensegen", den Jutta Simon-Alt wirklich schon vertont hat. Und es
folgt eine Huldigung an Ougenweide, denen die Irrlichter ihren
Dreifachsieg beim Falkensteiner Minneturnier 2010 verdanken: Frank
Wulffs unsterbliche Fassung der "Merseburger Zaubersprüche" wird
hier in einer neuen klangschönen Version dargeboten. (lj)
CD des Monats Juni 2015
Ensemble Leones: Hör kristenhait (Christophorus)
Fromme
Lieder der letzten Minnesänger versprechen die Leones hier, und
natürlich stehen Oswald von Wolkenstein und der Mönch von
Salzburg im Mittelpunkt eines solchen Albums, neben Michel Beheim,
Richard Loqueville und Fridolin Sicher, die mit je einem Lied vertreten
sind. Beeindruckend ist die stimmliche Vielfalt: Sabine Lutzenberger,
Raitis Grigalis und Marc Lewon sorgen alle drei mit hochkarätigem,
aber eben ganz unterschiedlichem Gesang für Farbe im Klangbild.
Obwohl, vielleicht auch gerade weil die beiden erstgenannten typische
Sänger klassischer Art sind, gelingt Marc Lewon der
"minnesängerischste" Vortrag, er setzt seine Interpretation, bei
der Wort und Sinn sofort zu erfassen sind, ganz in den Dienst des
Textes. Hinzu kommt der stets fantasievolle und improvisationssichere
Baptiste Romain mit Fidel, Rotte und Sackpfeife und natürlich die
Lautenklänge von Mastermind Lewon. Das Titelstück, das Lewon
selber singt, ist der Höhepunkt des Albums: Oswald von Wolkenstein
gebärdet sich dabei als Mahner aller Sünder, auf den Weg zur
Tugend zurückzukehren und die Wonnen der irdischen Minne gegen die
"geistliche Brunst" und Keuschheit einzutauschen. Aber man weiß
ja, dass Oswald in der Lage ist, mit größter
Überzeugungskraft die unterschiedlichsten Rollen einzunehmen!
Lewon bringt die Botschaft so überzeugend herüber, dass man
sich gleich in die klösterliche Klause zurückziehen
möchte. Auch der Mönch konnte ja bekanntlich erotisch richtig
zur Sache gehen, hier empfängt er dagegen ein goldenes Ringlein
von Maria persönlich. Am Ende gibt es Oswalds "Ave mater" in einer
herrlichen dreistimmigen Version. Das Album macht deutlich, dass die
Minnedichter es verstanden, auch dem geistlichen Lied eine
individuelle, persönliche und damit ganz besondere Note fern aller
kirchlichen Klischees zu geben. Dank dafür! (lj)
CD des Monats Mai 2015
Wünnespil und Freunde: Olden Times (Selbstverlag)
Mit
"Argentea" haben Wünnespil im Verlag der Spielleute einst ein
Meisterwerk mit Musik am Wendepunkt von Mittelalter zu Renaissance
vorgelegt, das immer noch Beachtung findet. Neben der Kernbesetzung,
dem Duo Klaus und Jutta Peill, waren damals auch noch Marc Lewon und
Knud Seckel mit dabei. Inzwischen ist Klaus senior verstorben, sein
Sohn mit dem selben Namen musiziert inzwischen gemeinsam mit seiner
Mutter und dem Harfenisten Fionn Ruadh. Auch Lewon – kaum eine CD
im Mittelaltergenre ohne seine Mitwirkung – konnte wieder
gewonnen werden, daneben sind Frank Weber, Jutta Weber-Karn, Leander
Reininghaus und Milena Georgieva mit an Bord. Das ganze hat einen
deutlich folkigen Touch, das Repertoire reicht vom isländischen
Volkslied über ein An Dro Medley bis hin zur englischsprachigen
Eigenkomposition und zur deutschn Fassung einer irischen Ballade.
Irland und Island stehen deutlich im Mittelpunkt. Für Freunde
mystisch-verträumter Klänge! (lj)
CD des Monats April 2015
Per-Sonat: Walther von der Vogelweide - Lieder von Macht und Liebe (Christophorus)
Angesichts
der Bedeutung und des Ruhms von Walther von der Vogelweide ist es
erstaunlich, dass bislang nur wenige Alben ausschließlich seinem
Werk gewidmet ist. Der Minnesang.com-Redaktion liegt hier jedenfalls
bislang erst der dritte Walther-Longplayer vor: Zunächst der
Bärengässlin-Klassiker von 1980, dann die
Verlag-der-Spielleute-Compilation „Saget mir ieman: waz ist
Minne?“ (2007) und nun „Lieder von Macht und
Liebe“ von Per-Sonat. Das Problem bei jedem derartigen Projekt
ist natürlich die extrem eingeschränkte, zudem
äußerst disparate Melodienüberlieferung, die einem
übergroßen Textkorpus gegenüber steht. So muss man
nicht nur suchen und sammeln, sondern auch die Kreativität walten
lassen, um Text und Musik adäquat zu würdigen und
zusammenzubringen. Das vorliegende Werk ist trotzdem aus einem Guss,
dafür gebührt dem Ensemble schon mal höchstes Lob. Auf
bewährten Pfaden bewegt man sich allein mit dem
„Lindenlied“ in der „En-mai“-Melodie und dem im
Münsterschen Fragment überlieferten
„Palästinalied“: Bei beiden Stücken hat sich eine
Interpretationstradition etabliert, die kaum noch Spielraum lässt.
Aber man kann auch anderes probieren: So wurde der Reichston nicht wie
üblich nach Puschmanns Singebuch vertont, sondern nicht minder
eindrucksvoll im Kreuzton nach Valentin Voigt. Sehr schön auch das
vieldeutige Lied „Do der sumer komen was“ zu einer Weise
des melodisch stets großartigen Meister Alexander aus der Jenaer
Liederhandschrift. Das lyrisch beeindruckende Vokalspiel „Die
welt was gelf rot unde bla“ - alle Reime der ersten Strophe enden
auf a, in den weiteren Strophen folgen e, i, o, u - wurde in
einer Melodie des Trouvères Gautier d'Espinal umgesetzt, auch
das ein Glücksgriff! Höhepunkt der eigenen Denkarbeit ist die
Umsetzung des Unmutstones, wobei man Teile des unvollständig
überlieferten König-Friedrichs-Tones um einen Teil des
Conductus „Unicornis captivatur“ aus dem Codex Engelberg
ergänzt hat. Erstaunlich auf den ersten Blick, aber es
funktioniert! Frau Lutzenberger singt wie immer strahlend schön,
was dort, wo's minniglich, lyrisch oder sakral wird, besonders gut
wirkt. Bei Walthers Trotz- und Wutausbrüchen fehlt einem manchmal
dann doch eine aufbegehrende Männerstimme. Die instrumentale
Umsetzung mit Fideln, Dreh- und Streichleier, ab und zu Sackpfeife und
Flöte wirkt rund und stimmig, auch Baptiste Romains
Zwischenspiele, die manch überlieferte Melodik fortspinnen,
passen. Erfreulich, dass hier auch der Walther zugeschriebene
„goldene Ton“ erklingt. Insgesamt eine schöne Mischung
aus Minne und Spruchgesang, aus Klassikern und mancher Neuentdeckung.
Trotzdem: Die Walther-Hits „Wol mich der stunde“ oder
„Muget ir schouwen“ fehlen, vor allem aber die
großartige Alters-Elegie. Die findet aber einen fast
gleichwertigen Ersatz mit dem testamentarischen „Ich wil nû
teilen ê ich far“, so dass es doch noch Walthersche Wehmut
zum Ausklang gibt, eine Stimmung, die Romain mit der irgendwie
tröstlichen Eigenkomposition „Iferunge“ zur Erinnerung
an einen der größten Dichtermusikanten, die wir hatten,
aufgreift und überhöht. (lj)
> Walther-CDs bestellen:
- Per-Sonat: "Walther von der Vogelweide - Lieder von Macht und Liebe" hier.
- Diverse: "Walther von der Vogelweide - Saget mir ieman: waz ist Minne?" hier.
- Bärengässlin: "Walther von der Vogelweide" hier.
CD des Monats März 2015
Eberhard Kummer: Nibelungenlied (Stereo)
Das
Nibelungenlied in gesungener Form kennen heutige Mittelalter-Fans vor
allem durch die Interpretation von Knud Seckel und seinem Ensemble
"Minnesangs Frühling". Doch über Seckels gelungener
Version sollte der Veteran der gesungenen Epen-Interpretation nicht
vergessen werden: Der 1940 geborene Wiener Sänger Eberhard Kummer
hat sich bereits bei seinem dritten Album 1984 zu Beginn seiner
Karriere dem Nibelungenlied mit Hingabe zugewandt. Seither hat er es
unzählige Male vorgetragen, einmal sogar bei einem
mehrtägigen Konzert, von Anfang bis zum Ende. Die
vorliegende CD, die auch die anderen im Hildebrandston sangbaren
Stücke - Walthers Alters-Elegie und das Falkenlied und die dazu
gehörigen weiteren Dichtungen des Kürenbergers -
enthält, fußt nicht auf der 84 erschienenen LP, sondern auf
der ursprünglich bei Extraplatte verlegten LP-Aufnahme von
1998. Mit seiner beeindruckenden Bass-Stimme und viel
Einfühlungsvermögen erweckt Eberhard Kummer die schaurigste
und deutscheste aller Heldengeschichten zum Leben. Gesungen wird ganz
puristisch abwechselnd zur Harfe und zur Drehleier, wobei die
Variationsbreite sowohl der gesanglichen als auch instrumentalen
Umsetzung begeistert. Auf dem Album finden sich die erste, die zehnte,
die 16., die 25. und die 39. Aventiure. D.h. es gibt die Exposition mit
Vorstellung der Charaktere inklusive Kriemhilds Falkentraum, die
Doppelhochzeit und den Mord an Siegfried aus dem ersten Teil. Aus dem
zweiten Teil wurden die Donau-Überquerung und der
blutrünstige Schluss ausgewählt. Ohne Zweifel die emotionalen
Höhepunkte des Stückes, die Kummer gekonnt zur Geltung
bringt. Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, auf wieviel Skepsis,
ja Widerwillen noch in den 80ern Kummers Versuch stieß,
Ependichtung in der ihr gemäßen Form gesungen vorzutragen.
Nicht zuletzt durch die unermüdliche Unterstützung des
viel zu früh verstorbenen Salzburger Germanistik-Professors Ulrich
Müller setzte auch im akademischen Bereich nach und nach ein
Umdenken ein. Kummer sang inzwischen auch "Kudrun", das Hildebrandslied
und "Laurin" auf CD ein und trug bei Konzerten Ausschnitte aus
"Tristan" und "Parzival" vor. Wer viel Zeit zum Hören hat, kann
auch Kummers Nibelungenlied von Anfang bis Ende erleben: Das
Chaucer-Studio hat 2006 eine dreißig Stunden lange (!)
MP3-Doppel-CD vorgelegt, auf der das Werk in toto erklingt. (lj)
>> Die CD ist bei Minnesang.com erhältlich zum Preis von 15 Euro plus 3 Euro Versand!
CD des Monats Februar 2015
Leones: Argentum et Aurum (Naxos)
„Argentum
et aurum“ - das ist zunächst einmal das Eingangsstück
der CD, eine Antiphon aus der Feder von Heinrich Isaac: Dort singt man
in Latein, dass man weder über Silber noch Gold verfügt, aber
trotzdem alles, was man hat, Gott darbringt. Silber und Gold ist auch
das, worüber die Habsburger in der frühen Renaissance
reichlich verfügten – der Musikkultur rund um den Habsburger
Hof ist das Album gewidmet. Die musikalischen Schätze, die hier
ausgegraben und in 10 Fällen sogar erstmalig eingespielt wurden,
umfassen das gesamte 15. Jahrhundert. Silber und Gold kann man aber
auch auf zwei unterschiedliche Musikstile beziehen, die diese Zeit des
Übergangs prägten und im friedvollen Nebeneinander
existierten: die bordungestützte mittelalterliche Sang- und
Klangkultur einerseits, die Liedsätze, die schon in die Funktionsharmonik zielten, andererseits.
Die Leones wählen auf dem Album mit Laute, Drehleier und Vielle in
pythagoräischer Stimmung auf der einen Seite und der
mitteltönig gestimmten Viole d'arco auf der anderen Seite sogar
zwei Klangfarben, die das Kontrastieren der musikalischen Edelmetalle
noch unterstreichen. Freunde des Minnesangs kommen durchaus noch auf
ihre Kosten: Oswald, der „letzte Minnesänger“, ist
ausführlich mit dem frechen „Fröhlich geschrai“,
„Heya“ und dem besinnlichen „Zergangen ist meins
herzen we“, sowie Instrumentalversionen von „Durch
Barbarei, Arabia“ und „Freu dich, du weltlich
creatur“ vertreten. Der Mönch von Salzburg lässt zur
Mittagszeit das Kühhorn ertönen – für Komik ist
gesorgt, wenn es die Magd nach dem mittäglichen Liebesspiel zu den
noch ungemolkenen Kühen drängt, der Knecht sie aber nicht
gehen lassen will. Das ganze wird musikalisch reizvoll im
A-cappella-Duett von Mann und Frau umgesetzt. Das 15. Jahrhundert ist
ja auch die Zeit, als man die Neidhart-Tradition kräftig
fortführte und viele Lieder, die dem Reuentaler zugeschrieben
wurden, zu Pergament brachte. Neidhartlieder und -schwänke
erfreuten sich nach wie vor großer Beliebtheit. Mit „Der
sunnen glanst“, „Urlaub hab der wintter“ und vor
allem „Do man den gumpel gampel sanc“ gibt es markante
Beispiele dieser späten Neidhart-Rezeption. Letzteres ist mit
allen 14 Strophen in einer von Marc Lewon hervorragend gesungenen
8-Minuten-Version zu hören – textlich haben wir es
eigentlich mit zwei Liedern zu tun: Interessant ist vor allem der erste
Teil, der Neidharts Mitwirkung beim Kreuzzug illusionslos schildert
– er wird verletzt und betont, dass er nie wieder mit Kaiser
Friedrichs Heer ziehen wird. Zuhause erwarten ihn allerdings schon
wieder Engelmar und seine irren Dörpergesellen, um ihm das Leben
schwer zu machen. Das Lied klingt dann mit einer der stets beliebten
fröhlichen Mutter-Tochter-Szenen aus. Spannend ist für den
Minne-Liebhaber auch Hugo von Montfort „Ich fragt ain
wachter“ – hier wird die Form des Tageliedes ins Geistliche
gewendet, der Wächter mahnt zur Umkehr vom gottlosen Leben, was
die Leones musikalisch großartig unterstreichen, hier kann sich
der zum Sakralen drängende Gesang von Els Janssens-Vanmunster
über flächigem Klang entfalten. Ohnehin liegt das Geistliche
ja der eher zurückhaltenden Interpretationsweise der Leones, so
kommen auch die Marienlieder und Motetten aus dem Jahrhundert der
aufstrebenden Habsburger gut zur Geltung. (lj)
CD des Monats Januar 2015
Ars Cameralis: Gothic Music in Bohemia (Authentic)
Lukáš
Matoušek hat in seiner tschechischen Heimat einen guten Namen
als Komponist zeitgenössischer klassischer Musik, beeinflusst von
Zwölftonmusik und Aleatorik. Er widmete sich als Ensembleleiter
von Ars Cameralis aber auch mittelalterlichen Klängen.
Kürzlich entdeckte ich eine Perle, die bereits Mitte der 80er
Jahre entstand: das Album „Gothic Music in Bohemia“. Vom
13. bis zum 15. Jahrhundert reicht der prächtige Bogen, der hier
gespannt wird, buntschillernd und musikalisch höchst
abwechslungsreich. Prag war im Mittelalter ein Zentrum höfischer
Kultur, kein Wunder, dass hier auch die Sänger aus dem
deutschsprachigen und romanischen Raum sich einfanden. Illustre
Gäste wie Neidhart, der Tannhäuser, Machaut, Landini und
Dufay fanden sich an und werden gebührend gewürdigt. Hinzu
kommen Beispiele, wie sich ddie Musik der Trobadors und
Minnesänger sowie die geistliche Musik aus West- und
Südeuropa sich im leider nur spärlich überlieferten
Schaffen böhmischer Künstler der damaligen Zeit
niedergeschlagen hat. Auffällig an dem Album ist die schiere Masse
des Materials: 31 Stücke sind zu hören – da reicht die
Zeit oft nur für eine Strophe, viele Tracks sind kaum länger
als eine Minute. Die Arrangements sind einfach und zurückhaltend,
der Gesang der leider etwas angestrengt wirkenden und
omnipräsenten Sängerin Zuzana Matouška wird meist nur
spärlich begleitet. Dabei kommt aber alles zum Einsatz, was das
zeitgenössische Instrumentarium zu bieten hat: von Fidel und
Rebec über Citole und Harfe , Portativ, Dulcimer und Zimbeln,
allerlei Schlagwerk bis hin zu den Flöten, Gems- und
Krummhörnern, die der Ensemble-Chef selber beisteuert. Richtig
schön, wenn mal zwischendurch wie bei "More festi querimus"
Temperamentvolles die höfische Innigkeit aufbricht!
Insgesamt ein Kompendium der höfischen Musik, die man im
Mittelalter im böhmischen Raum erleben konnte. Die schiere Masse
des Materials macht es dem praktizierendem Musiker leicht, der schnell
einen Klangeindruck von den Melodien bekommen möchte. (lj)
CD des Monats Dezember 2014
Ensemble Dragma: Kingdom of Heaven – Heinrich Laufenberg (Ramée/Outhere)
Heinrich
(von) Laufenberg lebte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Er wirkte u.a. als Kleriker in Freiburg/Breisgau und starb 1460 im
Straßburger Johanniterkloster. Sein umfangreiches Werk ging
mit vielen anderen mittelalterlichen Handschriften beim Brand der
Straßburger Stadtbibliothek in Flammen auf, konnte aber zu
großen Teilen aufgrund der Sekundärliteratur rekonstrumiert
werden. Er gilt als einer der wichtigsten mittelalterlichen
Liederdichter, heute kennt man vor allem noch das Weihnachtslied
„Ach lieber Herre Jesu Christ“ und „Ich wollt, dass
ich daheime wär“, beide sind im Evangelischen
Kirchengesangbuch vertreten. Letzteres ist auch auf dieser Einspielung
zu finden. Laufenbergs durchgängig deutschsprachige Lieder
korrespondieren übrigens mit der damals sich ausbreitenden
Laienfrömmigkeit. Das Ensemble Dragma besteht aus Marc Lewon
(Laute, Gesang), Agnieszka Budzińska-Bennett (Gesang, Harfe,
Symphonia), bekannt auch von ihrem Ensemble Peregrina) und Jane
Achtmann (Vielle, Glocken). Als Gäste sind an einigen Stellen noch
Hanna Marti und Elizabeth Rumsey zu hören. Laufenbergs Musik ist
eingängig und emotional, sie wird hier verbunden mit
zeitgenössischen Werken, die zum größten Teil anonym
überliefert sind. Als großer Name taucht nur der Mönch
von Salzburg auf, der Laufenberg inspiriert hat. Interessant ist das
Changieren zwischen dem bordunorientierten und improvisatorisch
begleiteten Vortragsstil der Minne- und Spruchgesangs-Ära und der
frühen Mehrstimmigkeit aus dem Buxheimer Orgelbuch und der vor
einigen Jahren entdeckten Wolfenbüttler Lautentabulatur (von Lewon
hier erstmals eingespielt auf der Plektrumlaute). Hier wird ein Stil-,
ja Epochenwandel deutlich. Sehr unterschiedlich ist auch die
Herangehensweise der Vokalisten: Budzińska-Bennetts Sopran schwebt
ätherisch über den perlenden Lautenklängen und den
Streicherflächen, Lewon dagegen nähert sich den manchmal
geradezu naiv-frommen Texten Laufenbergs auf zurückhaltend-intime,
eindringliche Weise. Besonders reizvoll sind die Lieder, bei denen
beide Stimmen und Stimmungen aufeinander treffen, etwa „Woluf, du
böse welt gemein“. Am meisten zu Herzen geht aber „Ker
din herz von hinnen“, eine Ersteinspielung: Hier singt Heinrich
Laufenberg eine junge Frau an und wirbt dafür, dass sie Familie,
Macht und Ehre, weltliches Verlangen und bitteres Leid hinter sich
lässt. Ziel ist ist die Gottesminne, die helle Herzensfreuden ohne
Begehren zu bieten hat. Marc Lewon singt den Text auf die ebenso
traurige wie herrliche Melodie so betörend schön, dass man
tatsächlich ins Grübeln kommt, ob man sich nicht selber auf
den beschriebenen Weg begeben sollte. (lj)
CD des Monats November 2014
Arianna Savall/Peter Udland Johansen und Hirundo Maris: Vox Cosmica (Carpe Diem Records)
Instrumente
im Gottesdienst – das war vielen Klerikern im Mittelalter ein
Dorn im Auge bzw. im Ohr. Für sie waren Instrumente des Teufels,
ihr zu Herzen gehender, betörender Klang ein Ausdruck von
Sinnlichkeit, die in Kirche und Kloster nichts zu suchen hatten.
Hildegard von Bingen sah das anders. Sie sah die Musik als
Hilfsmittel, „die ursprüngliche Freude und die
Schönheit des Paradieses“ wieder zu erlangen. Ihr Biograph
und Mitstreiter Wilbert von Gembloux berichtete begeistert von
Hildegards Liedern, die „durch die Begleitung der schönsten
Instrumente“ zur Geltung kamen. Bei allem Reiz, den in
klösterlicher Demut vorgetragene reine A-cappella-Aufnahmen ihrer
Musik haben, sollte man auch diesen Aspekt nicht vergessen. Das neue
Album des Ensembles Hirundo Maris bringt Hildegards großartige
Melodien, die das Zeitgefühl auflösen und ins Ewige streben,
mit dem überiridisch schönen Gesang Arianna Savalls
effektvoll zur Geltung. Die Sängerin hat die Liebe zur
mittelalterlichen Musik und das Talent durch ihre berühmten Eltern
Jordi Savall und Montserrat Figueras in die Wiege gelegt bekommen!
Hirundo Maris setzt die Gesänge aber auch in den Kontext
herrlicher Instrumente aller Klangfarben von Fidel, Flöten,
Glocken, Lyra und Harfe bis hin zu Santur, Gambe und Nyckelharpa. Und
Petter Udland Johansen spinnt in beseelten Instrumentalmeditationen
Hildegards Melodien fort. Neben den beiden “Masterminds”
sind hervorragende Mitwirkende dabei: Anke und Andreas Spindler
von der Capella Antiqua Bambergensis, der großartige
Perkussionist David Mayoral und nicht zu vergessen der klangverliebte
Tonmeister Jonas Niederstadt. Die Hingabe an Hildegards Werk wird an
einer Stelle für mehr als eine Viertelstunde unterbrochen. Dann
wechselt die Stimmung zu einem Klagegesang von Hildegards Zeitgenossen
Meister Petrus Abaelardus, besser bekannt als Abaelard: jener Kleriker,
der eine unglückselige Liebschaft mit seiner Schuelerin
Héloise begann, die er schließlich schwängerte. Dies
hatte nicht nur schlimme gesellschaftliche Folgen fuer den klugen
Kirchenmann und führte zu Schwangerschaft und Héloises
Verbannung ins Kloster, bekanntlicherweise ließ Héloises
Onkel und Vormund Fulbert den innig Liebenden durch gedungene Haescher
mit dem Messer entmannen. Der Interpretationsansatz von Johansen geht
dahin, dass Abaelard seinen persönlichen Schmerz und seine
Enttäuschung in diesen Klagegesang gelegt hat. Die Umsetzung nur
mit Gesang und Harfe orientiert sich an der zeitlich nahen
provenzalischen Trobadormusik und bietet damit einen Kontrast zu
Hildegard, der kaum größer sein könnte: unendliche
Traurigkeit gegen kosmische Freude. Gerade dadurch wird aber auch
deutlich, wie konträr Hildegards Musik zur Kultur ihrer Zeit
stand. Die Begegnung dieser beiden Großen der klösterlichen
Klänge macht das Album endgültig zum Meisterwerk. (lj)
CD des Monats Oktober 2014
Ensemble Cantilena Antiqua: Joys amors et chants – Berenguer de Palol (Passacaille)
Berenguer
de Palol, auch genannt Berenguer de Palazol oder Berenguer de Palou ist
ein Trobador, von dem man eigentlich nur ein Lied im Ohr hat:
„Tant m'abelis“, das von nicht wenigen Interpreten
aufgegriffen wurde, vor allem von Oni Wytars mit der unvergessenen
Marie Lafitte, von Virelai und Evo und als Kontrafaktur von
Trigon (mit mhd. Texte von „Willekomen sî der sumer
schoene“ von Brunwart von Aughem). Ein richtiger Ohrwurm,
voll der höfischen Frühlingsfreude: „Freude, Liebe,
Gessang, Vergnügen und Ritterlichkeit erquicken mich,“ so
heißt es im Text, „da könnte kein Reichtum mich
glücklicher machen“. Und tatsächlich, glaubt man seiner
Vida, so war er eher ein armer Mann, aber gut durchtrainiert und als
Ritter erfahren und geschätzt. Zwölf Lieder von ihm sind
erhalten, 10 davon sind auf diesem Album zu hören. Insofern fast
schon eine Gesamtüberblick! Er ist ein Zeitgenosse von Richard
Löwenherz, Peire Vidal und Reinmar von Hagenau, um nur ein paar
Namen zu nennen. Er hat klangschöne, leidenschaftliche Lieder
hinterlassen, insofern kann man dem Ensemble um Stefano Albarello nicht
genug danken für diese Übersicht. Es geht mit dem
„Hit“, dem eingangs erwähnten „Tant
m'abellis“ los, doch auch die anderen Melodien haben Charme und
Eleganz. Manche ind auch sehr originell wie zum Beispiel „Ab la
freca clardat“, dessen Melodik sich jenseits der konventionellen
modalen chemata entwickelt. Textlich allerdings geht er auf den
üblichen Bahnen: Eine unerreichbare Dame, denen man sein Leben
ganz verschreibt, voller Schönheit und Anmut, aber ohne
Entgegenkommen. Selbst wenn die „domna“ ihn ablehnt,
ja hasst: Er bleibt treu in ihren Diensten. Neben der treuen Herrin,
versichert er in zwei Liedern auch seinem Herrn, dem „Senher
Bernart“ Treue und Ergebenheit. Das Instrumentarium mit
Flöte, Vielle, Citole, Laute, Psalter und Percussion legt ein sehr
ansprechendes Zeitkolorit, die die Altus-Stimme Albarellos geschickt
umschmiegt. Gleichwohl hätte ein klein wenig mehr Abwechslung in
Klangbild undDynamik, vor allem in der stimmlichen Interpretation, das
hervorragende Album noch aufgewertet. (lj)
CD des Monats September 2014
SABINE LUTZENBERGER/NORBERT RODENKIRCHEN
In vergessenen Tönen - Die Sangsprüche Meister Frauenlobs
(Marc Aurel Edition/Raumklang)
Heinrich
von Meißen alias Frauenlob war für seine Zeitgenossen eine
unbestrittene Autorität: Meister des geblümten Stiles,
Dichter und Komponist ausgedehnter Leiche, Brückenbauer zwischen
Minne und Mystik und hochkarätiger Sangspruchdichter. Kein Wunder,
dass die Manesse ihn als Lehrmeister der Dichter und Musikanten
präsentiert, dass die Meistersänger ihn zu ihren großen
Vorbildern zählten und dass von ihm Notenmaterial in
ungewöhnlich großem Umfang überliefert ist. Der
Bedeutung des Mannes fürs Mittelalter diametral entgegen steht der
geringe Anteil von Frauenlob-Werken in der aktuellen
Aufführungspraxis, so dass man wirklich fast schon von
„vergessenen Tönen“ sprechen kann. Wahrscheinlich ist
uns nüchternen Menschen das Frauenlob-Oeuvre doch ein wenig zu
„geblümt“, da können wir uns mit Walther oder
Neidhart eher identifizieren. Dem Duo Rodenkirchen-Lutzenberger hat es
dieser Mann aber angetan: Nach der viel gerühmten
„Taugenhort“-Produktion geht es nun weiter mit einem
Einblick vor allem in das Sangspruch-Schaffen. Schon der Einstieg
überzeugt: „Ich saz uf einer gruene“ stellt den
Meister als Beobachter und Denker in die Walther-Tradition. „Mit
jungen junc“ zeigt dann, dass Frauenlob in Text und Melodie auch
klar und einprägsam sein kann: Halte Maß und wäge ab,
was und wo geboten ist! Ganz anders die vieldeutige Minne-Reflektion
„Swer minne schilt vil vueren“, eine meiner
Lieblingsstellen in Frauenlobs Werk – hier gibt es unendlich viel
Interpretationsspielraum, wie der „Wappenschild der Minne“
nun zu führen ist; man kann sich dabei aber auch einfach an
den Worten und Klängen berauschen oder ganz tief in sich
hineinhören. Mit Traversflöten, Harfe und Lutzenbergers
herrlichem Sopran finden die beiden Musiker stets die angemessene
Umsetzung. Frauenlob wird trotz seiner Genialität nicht als
Einzelphänomen betrachtet, sondern auch noch in einen Kontext
gestellt: Instrumental klingen Zeitgenossen wie die Spruchsänger
Der Unverzagte und Der Kanzler an, aber auch der geistliche Hymnen- und
Sequenzen-Komponist Adam de St. Victor aus dem 12. Jahrhundert. Seine
Musik wird auch den Worten von Meister Eckart unterlegt – der
einflussreiche, aber auch umstrittene Theologe und Philosoph wird hier
als unerwarteter Geistesverwandter von Frauenlob vorgestellt.
Übrigens genau in der Mitte der CD, vielleicht ein Verweis auf die
große Rolle, die Spiritualität und Frömmigkeit für
Frauenlobs Werk haben! Das letzte Wort hat natürlich Frauenlob
selber: Der Sangspruch „Daz ende sagt volkomenheit der
dinge“ zeigt auf, wie wichtig es ist, alles zu einem gelungenen
Abschluss zu bringen. Das Duo findet zum guten Ende einer auch
klanglich betörend schönen CD und setzt dem Liedvortrag als
i-Tüpfelchen noch eine nachdenkliche Harfen-Coda hintan. (lj)
>> Die CD ist bei Minnesang.com erhältlich zum Preis von 15 Euro plus 3 Euro Versand!
CD des Monats August 2014
ENSEMBLE PEREGRINA
Sacer Nidus (Raumklang)
Kurz
um die vorletzte Jahrtausendwende, genauer gesagt im Jahr 999, wurde
der polnische Märtyrer Adalbert von Prag heilig gesprochen. Der
Prager Bischof war ein streitbarer Mann, der nicht nur fleißig
missionierte, sondern auch seinen Glauben an christliche
Nächstenliebe und Gottes Gerechtigkeit gegenüber geistlichen
und weltlichen Widersachern deutlich machte. Das ging so weit, dass er
auch einer Ehebrecherin Schutz gegen ihre empörte Verwandtschaft
gewährte – diese köpften die Dame aber vor seinen
Augen. Aus Enttäuschung über seine unchristlichen Landsleute
zog er sich in Kloster Aventin bei Rom zurück, bis er bei einer
letzten Missionsreise nahe dem Frischen Haff von einem Prußen
erschlagen wurde, der in ihm einen polnischen Spion sah. Adalbert war
mit dem jungen Kaiser Otto III. befreundet. Beiden
Persönlichkeiten ist dieses Album gewidmet - „Sacer nidus
– das heilige Nest“, so nannte man einst die Stadt Gnesen,
die zeitweilig als Ruhestätte des verstorbenen Adalberts diente.
Peregrina bauen dem bemerkenswerten Mann aber nun ein musikalisches
Nest, in dem er für alle Zeiten gut aufgehoben und
repräsentiert ist: Sequenzen und Hymnen um sein Leben und seine
Zeit, entstanden zwischen dem zehnten und sechzehnten Jahrhundert,
Marienlieder, sogar das älteste polnische Lied erklingt. Dazu
gehörte viel Forschungs- und Transkriptionsleistung der
Ensembleleiterin Agnieszka Budzinska-Bennett: entgegen früherer
Übertragungen wurde die teilweise von anderen Vorlagen stammende
Melodik der Struktur der Originaltexte sinnvoll angepasst. Die oft
einstimmigen Originale wurden oft um eine im mittelalterlichen Stil
improvisatorisch entwickelte Mehrstimmigkeit ergänzt. Wie schon
bei früheren Glanzlichtern des Ensembles wie „Crux“
und vor allem die wunderbaren „Veiled Desires“ trägt
einen der Klang dieser wunderbaren Frauenstimmen davon. Der
Instrumentalanteil ist eher spärlich: Neben der Ensembleleiterin
auf der romanischen Harfe musiziert nur noch Baptiste Romain –
wie immer souverän auf der Vielle, darunter auch mit einigen
improvisatorisch weitergesponnenen Originalmelodien zu Ehren des
Heiligen Adalbert, aber auch mit reizvoll-sprödem Leierklang. (lj)
>> CD bestellen bei Raumklang.
CD des Monats Juli 2014
EARLY FOLK BAND
Robin Hood – Ballads, Songs and Dances (Ahalani Rec.)
Was
ist eigentlich dran an diesen Geschichten von Robin Hood? Er hat sich
tief eingegraben in unsere mittelalterliche Erinnerungswelt als edles
Pendant zum ebenso wunderbaren König Richard Löwenherz,
Rächer der Witwen, Waisen und Enterbten. Das alles in herrlicher
Kameradschaft mit seinen ebenso großmäuligen wie
großherzigen Merry Men wie Little John und Friar Tuck, in
reiner Liebe entbrannt zur Maid Marian! Hm, je weiter man
zurückgeht in der Geschichte, desto weniger bleibt von diesem
anmutigen Bild übrig. In den ganz alten mittelalterlichen
Balladen, die seit dem 13. Jahrhundert weitergegeben wurden, ist er ein
Outlaw mit Spaß an der Gewalt und ohne die Liebe zur Einen,
Reinen im Herzen. Im 16. Jahrhundert wandelte sich mit der Publikation
von Balladen-Blättern das Bild: der rohe Robin wurde gezähmt,
nobel und großmütig. So wie wir ihn heute noch aus Filmen
wie „König der Diebe“ kennen! Mit großer Lust
machen sich die Merry Women und Men der Early Folk Band an die
überlieferten Lieder um Robin. Die älteste Quelle stammt von
1377, die neueste von 1832. Da wird sehr schön und zu Herzen
gehend, aber erfreulicherweise auch rau und humorvoll gesungen. Im
Klangbild nähert sich die Band jetzt tatsächlich dem Folk an,
lässt die hochvirtuose Gediegenheit der Frühen-Musik-Szene,
der die Akteure um Gesine Bänfer und Ian Harrison ja alle
entstammen, deutlich hinter sich. Dafür gibt es mehr Emotion,
Frische und Wildheit! Ein herrliches Album für alle, die sich
gerne in den Sherwood Forest hineinträumen wollen... (lj)
>> CD bestellen unter www.ahalani-records.com
CD des Monats Juni 2014
LEONES
The Cosmopolitan - Songs by Oswald von Wolkenstein (Christophorus)
Um
Oswald von Wolkenstein als Kosmopoliten und welterfahrenen Mann
darzustellen, wurde gleich das richtige Eingangsstück
gewählt: das siebensprachige „Do frayg amors“,
wahrscheinlich beim Konstanzer Konzil entstanden, das in diesem Jahr
sein 600-jähriges Jubiläum feiert. Alles, was Rang und Namen
hatte im damaligen Europa, fand sich dabei am Bodensee ein, um einen
Ausweg aus dem großen Schisma – es gab gleich der drei (!)
Päpste - zu finden. Oswald war mittendrin, dazu Musikanten,
Sänger und Dichter aus allen Landen, viele Sprachen und Melodien
ertönten. Oswald hatte dabei ein offenes Ohr und war kreativ wie
nie. Er saugte alles in sich auf und eignete es sich an, um es in
eigener Klangsprache mit raffiniertester Wortmalerei wieder neu
erstehen zu lassen. Im Jubiläumsjahr huldigen also auch die Leones
dem Sänger und größten deutschen Dichter zwischen
Vogelweide und Goethe. Inspiriert, geschmackvoll und virtuos geht es
dabei zu. Dabei gibt es auch drei mehrstimmige Werke, die erstmals
vernünftig editiert wurden: das zurückhaltend in rein
instrumentale Lautenklänge gesetzte „Freu dich, du weltlich
creatúr“, das herrlich zweistimmig von Els
Janssens-Vanmunster und Miriam Andersén gesungene Juwel
„Gar wunniklich hat si mein herz besessen“ und „Wol
auff, wol an“, das auf besonderen Wunsch von Prof. Dr. Ulrich
Müller aufgenommen wurde, der die CD-Produktion noch kurz vor
seinem Tod begleitet hatte: Als A-cappella-Chorstück erklingt das
hocherotische Frühlingslied, bei dem die Pfifferlinge kräftig
emporschießen dürfen, dass es dem Blümlein unterm
Strauch eine wahre Lust ist! Mit dem „Nu rue mit
sorgen“, dem „gút geboren edel mann“
(instrumental von Liane Ehlich herrlich auf der Traversflöte
intoniert), und „Wol auff, wir wellen slauffen“ sind auch
drei Oswald-Standards zu hören, freilich auch diese in Leon'scher
Eigenart dezent dargeboten. Wie schon bei Neidhart gelingt dem Ensemble
ein feinsinniger Gegenpol zur gängigen raubeinigen
Interpretationsweise des Oswaldschen Oeuvres. Ein Wermuthstropfen sei
den Freunden des „Kosmopoltien“ trotzdem ins Glas gegeben:
Sein mit Gassenhauer-Melodik unterlegtes Hetzlied gegen Jan Hus, das er
in Konstanz ebenfalls zu Gehör brachte, war geistige Brandstiftung
im wahrsten Sinne des Wortes, es trug seinen Teil dazu bei, den
frühen Reformator aus Böhmen auf den Scheiterhaufen zu
bringen. Die Leones haben uns dieses Lied erspart, solch
bösartig-brutaler Sang gehört aber leider zum Gesamtbild des
Genies, Genussmenschen und Egomanen Oswald hinzu. (lj)
CD des Monats Mai 2014
ENSEMBLE NU:N
Estampie (Raumklang)
Die
acht Estampien (vier mit dem Zusatztitel „Royal“, vier mit
„Real“) gelten als die ältesten Werke der
Instrumentalmusik. Sie stammen aus dem „Manuscrit du Roi“
(13. Jh.), wo sie neben französischen Trobadorliedern als einzige
Instrumentals stehen, von der Struktur her auch völlig
unterschiedlich zu den Vokalstücken. Es sind höfische
Tänze – jeder von ihnen besteht aus vier bis sieben
strophenartigen Teilen, die jeweils erst in einen offenen Schluss
(„ouvert“) münden und bei der Wiederholung mit dem
„clos“ abgeschlossen werden. Eine reizvolle, im ersten
Moment irritierende Form, die aber bei späterem Hören logisch
erscheint. Für das Ensemble Nu:n, das sich mit modernen
Instrumenten der frühen Musik auf kreative Weise zuwendet, sind
die Estampien so etwas wie das „Real Book“ des
Mittelalters: Standards, die allen Spielleuten bekannt waren und von
ihnen auf den unterschiedlichsten Instrumenten wiedergegeben,
ausgeschmückt und nach dem eigenen Geschmack ergänzt wurden.
Und so halten es auch Falk Zenker (spanische Gitarre), Gert Anklam
(Sopran- und Baritonsaxophon) und Nora Thiele (Rahmentrommel plus ein
großes Arsenal von Percussion aus aller Welt). Mal sind sie der
mittelalterlichen Klangwelt noch ganz nah, dann wieder ziehen sie die
Melodien und Motive durch die Musik- und Weltgeschichte, das man sie
nur mit Mühe noch erkennt. Jazzige Harmonien, folkige Farben
verschiedenster Herkunft, romantische Schwelgereien und vertrackte
Rhythmen – die alten „Standards“ bieten solch
hochkarätigen Musikern Stoff für schier endlose Klangreisen.
Diese enden auch nach Abschalten des CD-Players nicht, sondern setzen
sich im Kopf des Hörers fort. (lj)
CD des Monats April 2014
REINHOLD WIEDENMANN & OSVALDO PARISI
Titurel - Wolfram von Eschenbach (Koch/Schwann)
Der
klassisch ausgebildete Sänger Reinhard Wiedenmann und der
brillante Lautenist Osvaldo Pariso haben 1996 Wolfram von Eschenbachs
"Titurel"-Fragment aufgeführt und auf CD gebracht. Wie bei so
vielen musikalischen Umsetzungen mittelalterlicher Werke hatte der
inzwischen verstorbene Salzburger Germanist Ulrich Müller dabei
seine Hand mit im Spiel. Wolfram von Eschenbachs "Titurel"-Fragment
führt zu Unrecht eine Nischenexistenz neben dem "Parrzival". Dabei
ist die Geschichte des Liebespaares Sigune und Schionatulander hohe,
tieftraurige Minne, ebenfalls angesiedelt im Dunstkreis der
Gralsritter. Sigune, Urenkelin des Grals-Stammvaters Titurel, ist
fasziniert von einer Liebesgeschichte, die sie auf einer langen, mit
Edelstein besetzten Leine eines Jagdhundes liest. Doch der Hund
entwischt, ihr Verehrer Schionutulander erhält nun von ihr den
Auftrag, die Leine herbeizuschaffen - dann würde sie ihn
erhören! Das Ende ist schon aus dem Parzival bekannt: Der Liebste
stirbt bei Erfüllung des Herzenswunsches, weil er dabei den
falschen Leuten in die Quere kommt. Aus großer Trauer lässt
sie sich gemeinsam mit dem verstorbenen Geliebten einmauern. Was vorher
genau geschah, lässt Wolfram offen: Albrecht von Scharfenberg hat
das Fragment um 1260 zu einem umfangreichen Epos ausgearbeitet, doppelt
so lang wie der Parzival. Erfreulich ist, dass zum "Titurel" eine
Melodie überliefert ist, zudem einer der schönsten Töne
des Mittelalters. In ihm hat übrigens auch Hadamar von Laber
Anfang des 14. Jahrhunderts seine Jagd-Allegorie verfasst, die in
gewisser Weise an die Jagdhundgeschichte anknüpft. Die Umsetzung
des "Titurel" auf der vorliegenden CD ist trotz der stets wiederholten
Grundmelodie abwechslungsreich und spannend: Wiedenmann zeigt, wie die
Epiker mit dem Ton umgegangen sein können - dieser bildet das
Grundgerüst, das in Tempo, Diktion und Singweise variiert wird,
ergänzt um Sprechgesang und deklamatorische Teile, auch spontane
Einfälle, oder die Überführung der Melodik in
orientalische Modi sind sinnvoll, wo sie die dramatische Aussage
unterstützen. Und Pariso sitzt mit offenem Ohr daneben, folgt
allen Wendungen des Sängers spielerisch und setzt ab und zu seine
eigenen virtuosen oder lautmalerischen Glanzlichter. Puristen haben
eingewendet, dass man Gesangs- und Spieltechniken späterer Zeiten
deutlich durchhört. Das mag sein, aber dafür wurde eine
schlüssige Gesamtumsetzung auf dem Hintergrund des Horizonts der
beteiligten Musiker gefunden, die uns die doch recht ferne Geschichte
nahe bringt. Die CD ist nur noch antiquarisch zu bekommen, die Suche
lohnt sich jedoch! (lj)
CD des Monats März 2014
VOCAME
Inspiration - Hildegard von Bingen (Berlin Classics)
Drei
Dinge verblüffen an der Musik Hildegards von Bingen: der
Umfang ihrer Überlieferung, die Originalität und
Singularität ihrer Gesänge sowie ihr hoher
Wiedererkennungswert. Michael Popp, männlicher Leiter und
Begleiter des Frauenensembles VocaMe, fasst das in die Worte:
„Wie aus dem Nichts schien diese Musik aufzutauchen und wieder zu
verschwinden“. Zwischenzeitlich allerdings erhebt sie uns zum
Himmel empor, ist gleichzeitig „Inspiration“ und Ahnung vom
Göttlichen und damit das deutlichste Zeugnis von Hildegards
Visionen, fern aller abstrakten Beschreibungen mit den Mitteln der
Sprache, direkt erfahrbar. Eine Musik, die das Zeitgefühl aufhebt,
die den Hörer selbst zum Teil des Ewigen macht. Mit großer
Ruhe, Eindringlichkeit und Intensität geben sich die vier
erstklassigen Sängerinnen Sigrid Hausen, Sarah M. Newman, Petra
Noskaiová und Gerlinde Sämann in diese Musik hinein, werden
Teil von ihr. Arrangeur Popp, bekannt von Estampie, Qntal und dem Al
Andaluz Project, setzt nicht nur auf die Einstimmigkeit der
Überlieferung, bietet zwischendurch auch Parallelführung der
Stimmen in Quinten und Quarten zu Liegetönen und erzeugt dabei
auch schon mal eine hymnische Dichte. Doch es sind vor allem dann
wieder die Unisono-Passagen dieser merkwürdig betörenden
Melodien ohne Anfang und Ende, die einen davontragen ins Irgendetwas,
das „etwas Besseres als hier“ ist. (lj)
> Vortrag von Dr. Lothar Jahn
zum Thema "Hildegard von Bingen - Eine Heilige für unsere Zeit?"
am Dienstag, 11.3., Volkschochschule Kassel, Wilhelmshöher Allee
19 - 21, Raum 304, Eintritt: 5 Euro!
CD des Monats Februar 2014
FLOR ENVERSA
Blacatz de Proensa (Enversa)
Das
Trio Flor Enversa, bekannt für Trobador-Musik in intimer,
verinnerlichter Interpretation, wendet sich auf seinem neuen Album
einen Trobador zu, der den Beinamen „Der große
Krieger“ trägt. Laut seiner Vida liebte er die Frauen
und die Galanterie, den Krieg und die opulenten lauten Feste. Kurzum:
Er war ein wilder Haudegen und Draufgänger und damit das glatte
Gegenteil dieser friedvollen Musikanten, die 2009 auf dem
Europäischen Minnesang Festival im Braunschweiger Dom ihr Publikum
aufs Anmutigste betörten. Doch Blacatz de Proensa schrieb nicht
nur selbst ganz leidlich Lieder wie damals so macher Fürst, der um
Anerkennung buhlte. Er war vor allem, und das ist sein eigentliches
Verdienst, wie Landgraf Hermann von Thüringen, die Stauferkaiser
und die Herren von Aquitanien auch ein großer Förderer der
Sangseskunst. Auch hochkarätigere Sängerdichter wie Cadenet,
Raimbaut de Vaqueiras, Guy de Cavaillon, Albertet de Sisteron, Folquet
de Romans, Sordel, Peire Vidal und Peirol standen in seiner Gunst und
sind auf dem Album ebenfalls zu höre. Für ihn spricht auch,
dass er das Talent seines Sohnes förderte, der Trobador Blacasset.
Das hier aufgenommene Lied deutet darauf hin, dass dieser ihn an Talent
übertraf. Dank Domitille Vigneron, Fidelvirtuosin und
Sängerin, sind auch zwei Trobairitz auf dem Album präsent: Na
Tibors de Sarenom und die Comtesse de Provence Garsenda de Forcalquier.
Auch das Spiel von Olivier Ferraud auf den diversen selbst gebauten
Saiteninstrumenten und der zurückhaltend schöne Gesang
Thierry Cornillans sind wieder hörenswert. Insgesamt bieten
die Hüter des Erbes der provenzalischen Musik wieder eine
hochinspirierte Reise in die großen Tage der Trobadorkunst! (lj
CD des Monats Januar 2014
TANDARADEY
Haimlich und überlaut (STP Records)
Erstaunlich,
aber ein wahres Kleinod der Minnesang-Interpretation ist mir erst sehr
spät begegnet. Die Rede ist vom Österreicher Ensemble
Tandaradey um Manfred Hartl, nicht zu verwechseln mit dem deutschen
Conventus Tandaradey. Das Ensemble widmet sich inzwischen unter dem
Namen „Die Tandler“ der Musik ab 1600, das „Duo
Tandaradey“ mit Hartl und Michael Vereno greift aber das hier
eingespielte Repertoire auf. Das Album „haimlich und
überlaut“ widmet sich vor allem Neidhart "von Reuental" und
seinen Nacheiferern im 14. Jahrhundert. Die Arrangements sind einfach
und kraftvoll, aber trotzdem künstlerisch und durchdacht gehalten,
mit ebenso viel Sachkenntnis wie Augenzwinkern dargeboten. Das ganze
wirkt sehr direkt, was auch an der Aufnahmetechnik liegt, die im
Gegensatz zur Mittelalterkonvention verhallter Klöster und
Kapellen auf Nähe zum Mikrophon setzt. Neben Neidhart taucht auch
der Mönch von Salzburg immer wieder auf, der mit seinen nicht nur
vom göttlichen Licht, sondern auch von allerlei weltlichen Freuden
durchdrungenen Gesängen einen guten Gegenpol zu Neidharts
Missgeschicken liefert. Schließlich, als Ersteinspielung, zwei
Marienlieder der Geißler aus den schlimmen Pestzeiten um 1350:
Sie bitten die Gottesmutter um Rettung vor der bösen Seuche. Das
Neidhartrepertoire bietet neben einigen Klassikern wie den
Heiden-Zwiegesang der Gespielinnen, „Meie din“ und
das opulente Fresslied auch Perlen, denen man viel zu selten auf CD
begegnet: Das umwerfend komische „Neidhart im Vas“, den
Mutter-Tochter-Wechsel „Tochter spin den rocken“ (melodisch
noch interessanter als das thematisch ähnliche
„Blozen“) und das Winterlied „Der schlitt“. Vom
Mönchen sticht vor allem das Minnelied „Ich han in ainem
garten gesehen“ ins Ohr. Als Ergänzung begeistert ein
Booklet in Form eines Bilderbüchleins des
2009 verstorbenen Künstlers Christian Schwetz, der auf dem Album
auch mit Laute und Flöte präsent ist: Zu jedem Lied gibt es
eine Illustration nach alten Holzschnitten und einen kleinen Text, der
den Inhalt zusammenfasst. (lj)
>> CD bestellen bei Tandaradey.
CD des Monats Dezember 2013
LA MOUVANCE
Ave Meres Sterne (Zweitausendeins)
Das
Weihnachts-Album für den Freund zurückhaltender früher
Musik ist erschienen: "Ave meres sterne" des jungen Frauen-Duos "La
Mouvance" bietet Weihnachtliches und Adventliches vor allem aus dem 14.
und 15. Jahrhundert. Zu hören sind aber keine Klassiker wie
„Es kumpt ein schiff“ oder „Joseph, lieber
Joseph“, sondern die Ergebnisse akribischer Forschungsarbeit,
wobei auch der Fachmann viel Neues entdecken kann. Neben Johannes
Roullet, Oswald von Wolkenstein und dem Mönchen von Salzburg, von
dem auch der merkwürdige Titel – eine Eindeutschung von Ave
Stella Maris - stammt, sind viele anonym überlieferte Stücke
zu hören. Das von Chistine Mothes a cappella vorgetragene
„Von den angeli der sun auffgang“ beeindruckt dabei durch
zeitlose Schönheit. Frau Mothes prägt mit ihrem
zurückgenommenen, in allen Lagen ausgeglichenen und sauberen
Gesang das Klangbild, Karen Marit Ehlig umschmeichelt mit ihrer Vielle
fantasievoll die Melodien mit Liegetönen, Imitationen und
improvisatorischen Ergänzungen. Als Gäste hat man sich Ulrike
Wolf an der Traversflöte und den zur Zeit omnipräsenten Marc
Lewon an Laute, Quinterne und zweiter Vielle geholt. Beide bereichern
durch neue Farben und stilsichere Darbietungen das Klangbild. Es
gelingt dem Ensemble, im Kirchenhall eine von Geistigkeit
durchdrungene, weltentrückte Atmosphäre zu schaffen. Vor
allem bei dem fast dreizehnminütigen „Maria, keusch muter
zart“ des Mönchen vergisst man Zeit und Raum. Fast am
Ende blitzt dann in Klangmeer etwas Bekanntes auf, eine Melodie, die
man von Oswalds vom zupackend-erotischen Lied „Ain tunckle
farb“ kennt. Er hat in diesem Ton nämlich auch ein
weihnachtliches Lied gedichtet, „In suria ain braiten
hall“: Christi Geburt wird dabei als großer Tumult
geschildert, bei dem der Teufel vor Wut einen Krater in eine Mauer
sprengt, den Oswald selbst gesehen haben will. Erzählung und
Sprache sind sehr kraftvoll und originell gehalten, hier haben die
Musikerinnen die Gelegenheit verpasst, in der Diktion aus ihrer
insgesamt etwas zu gleichförmigen Interpretationsweise
herauszutreten. Wunderbar geraten ist dann aber der Schluss: Ins
freudvolle „Puer nobis nascitur“ mit seiner
eingängigen Melodie und einem angedeuteten tänzerischen Impus
möchte man sofort mit einstimmen. (lj)
CD des Monats November 2013
ARIANNA SAVALL, PETTER UDLAND JOHANSEN, PAUL MAAR U.A.
Das Wittelsbacher Hörbuch (CAB Records)
Einen
Rundumschlag durch die (Musik-)Geschichte bietet das
„Wittelsbacher Hörbuch“ aus der Werkstatt
der Capella Antiqua Bambergensis. CAB-Records knüpfen dabei
an die erfolgreiche „Codex-Manesse“-Produktion an, die
ebenfalls Musik mit historischer Hintergrundinformation verband.
Diesmal reicht das Repertoire von Hildegard von Bingen und Oswald von
Wolkenstein über Orlando die Lasso und Andreas Hammerschmidt bis
hin zu Ludwig van Beethoven. Die Zusammenstellung legitimiert sich
ausschließlich durch die Förderung der Komponisten durch die
kunstsinnigen Mäzene des Wittelsbacher Geschlechts, das sich seine
Repräsentation vom Mittelalter über Renaissance und Barock
bis hin zur Romantik viel kosten ließ. Der höfische Glanz
ist omnipräsent, vor allem in der nur als edel zu bezeichnenden
Aufnahmequalität der Musik aus dem capella-eigenen Schloss
Wernsdorf. Die Klangästhetik des Ganzen inklusive des feinsinnigen
Gesangsstils von Arianna Savall und Petter Udland Johansen passt am
besten zu den Renaissance-Stücken: Ludwig Senfl, Heinrich Isaac
und Orlando di Lasso sind im Schloss-Ambiente wunderbar aufgehoben. Den
Carmina-Burana-Stücken, aber auch dem Wolkensteiner hätte
etwas vagantische Rauheit, der Hildegard mehr klösterliche Demut
gutgetan. Zum Hinhören lädt dagegen
„Gaitas“ von Diego Fernandez de Huete (1635 – 1713)
ein, solche Musik hört man selten mit Dudelsack und den herrlich
tiefen Trommeln. Geradezu himmlisch klingen auch die Glocken, die
Hildegard von Bingens „O quam mirabilis“ einleiten. Sehr
irdisch klingt dagegen die Neuvertonung von Eichendorffs
Wittelsbacher-Hymne „Adler“ durch Johansen, die das Album
beschließt. Schmerzlich vermisst man Richard Wagner, zu dem der
Wittelsbacher „Kini“ Ludwig II. doch eine geradezu
abgöttische Liebe empfand, die er durch großzügigste
Förderung ausdrückte. Neben der reinen Musik-CD gibt es eine
Hörbuch-CD, gesprochen durch den stets sonoren TV-Moderator
Gunther Schoß und Textautor Paul („Sams“) Maar. Sie
erinnert stark an einen Museums-Audio-Guide, der Bildungsanspruch ist
fast schon penetrant spürbar. Es wäre zudem sinnvoll gewesen,
auch die Sprecher nach Wernsdorf einzuladen, die extrem
unterschiedliche Akustik von Musik und Sprache stört. Bei aller
Hochachtung für die Wittelsbacher Sponsorentätigkeit
übertreibt das Album die Huldigung des Adelsgeschlechts, dem wir
anscheinend die gesamte abendländische Musikgeschichte zu
verdanken haben. Das reicht soweit, dass das Booklet durch ein
„Geleitwort seiner königlichen Hoheit Herzog Franz von
Bayern“ geziert wird. Hatten wir nicht die Monarchie
überwunden? (lj)
CD des Monats Oktober 2013
TRIGON
Vil lieber grüsse süsse (Conditura)
Seit
Jahren wartet die Minnesang-Gemeinde auf ein Soloalbum von Holger
Schäfer, dem vielfach preisgekrönten Interpreten des
Minnesangs, der uns diese Musikform auf eine zeitlose und gleichzeitig
intime Weise nahebringt, so dass die Jahrhundertedistanz
überwunden scheint. Doch man muss wohl noch weiter warten! Dieses
Album vom Ensemble Trigon, in dem Holger Schäfer seit Jahren aktiv
ist, ist jedoch geeignet, einem die Wartezeit zu versüßen.
Der Minnesang wird jedoch nur gestreift: Brunwart von Aughems
„Willekomen“ und Oswald von Wolkenstein süße
Grüße sind zu hören, dazu herrlich traurige mittelalterliche Lieder aus
Norwegen und Schweden. Das erstaunlich folkloristische Repertoire, das
das eigentlich als Barock-Ensemble bekannte Trio Trigon hier
präsentiert, wandert weiter durch die Jahrhunderte, setzt neben
Skandinavien auch Schwerpunkte in Irland und beim britischen Dancing
Master John Playford, um schließlich bei einem
romantisierend-schwelgerischen Abendlied von Peter Michael Riehm (1947
– 2007) anzukommen. Schäfers Qualitäten als
Harfenspieler und Sänger kommen gut zur Geltung, doch stets wird
er musikalisch aufs Lieblichste umschmeichelt von den beiden
Flötistinnen Katrin Krauß und Kerstin de Witt, deren
makellose Zweistimmigkeit sich oft so vermischt, als spiele nur ein
einziges Instrument. Verblüffend ist, dass die fast keusch zu
nennende Reinheit des Klangs sich auch öffnet für die
zupackende Direktheit des Irish Folk. Tatsächlich ist der irische
Part in der Mitte des Albums der stärkste: Hier greifen die Damen
zu Tin Whistle (Krauß) und Fiddle (de Witt) und legen richtig
los, so dass sogar ein hoch- und runtergedudeltes Werk wie
„Eleanor Plunkett“ von O'Carolan frisch und neu klingt. (lj)
CD des Monats September 2013
ENSEMBLE DULCE MELOS
Das Glogauer Liederbuch (Naxos)
Das
Glogauer Liederbuch ist ein frühes Dokument der Hausmusik –
diese wurde wahrscheinlich zunächst im klösterlichen Rahmen
betrieben. In der Domschule Glogau und dem Augustinerstift Zagan
vermutet man den Ursprung des Werkes. In drei Stimmbüchern
überliefert, markiert das Buch den nun auch beim musikalischen
Laien angekommenen Wendepunkt von der nach dem Gehör begleiteten
Musik zum Blattspiel, von der einstimmigen zur mehrstimmigen
Liedbegleitung. Die Ende des 15. Jahrhunderts entstandene Sammlung aus
Schlesien (Glogau liegt 100 km nordwestlich von Breslau) enthält
fast 300 Lieder und Tänze. Eine bunte Mischung aus weltlichen und
geistlichen Themen wird angesprochen: Es fehlt eine strenge thematische
Ordnung, die Zusammenstellung wirkt eher assoziativ. Die Lieder, die
aus vielen Ländern von Sachsen über Frankreich, England und
Italien bis his nach Böhmen oder Polens stammen, sind oft sehr
kurz und in dreistimmigen Sätzen notiert, die deutlich machen,
dass die Musikgeschichte nun schon deutliche Schritte in Richung
Funktionsharmonik gegangen ist. Nicht selten gibt es unterschiedliche
Sätze oder Texte zum selben Lied. Marc Lewon hat für das
Ensemble Dulce Melos bei seiner CD-Einspielung deshalb musikalisch
Zusammengehöriges zu kleinen Suiten zusammengefasst. Die
ausgedehnteste davon beschäftigt sich mit dem offenbar höchst
populären Stück „O rosa bella“, ursprünglich
eine italienische Ballade von Leonardo Giustiniani in der Vertonung von
John Bedyngham (ca. 1440). Die schöne Rose wird gleich in acht
Varianten aufgeblättert, neben den Glogauer Versionen bringt die
Suite auch Varianten aus dem Buxheimer Orgelbuch, dem
„Chansonnier Cordiforme“ und dem „Trent Codex
89“. Lewon, der auch an der Laute zu hören ist, gelingt eine
ebenso klangfarbenreiche wie kunstvolle Umsetzung der Liedersammlung,
wozu auch die hervorragenden Vokalsolisten Sabine Lutzenberger und
Martin Hummel und der Viola-Maestro Uri Smilansky beitragen. Die
schöne Einspielung ist sehr weit vom Liebhabermusizieren entfernt,
dem das Buch ursprünglich einmal diente. Schade ist nur, dass in
der CD-Laufzeit nur ein kleiner repräsentativer Querschnitt des
Liederbuches präsentiert werden kann – dieser macht
neugierig auf mehr! (lj)
CD des Monats August 2013
ENSEMBLE PEREGRINA
Cantrix (Raumklang)
Lässt
die Hohe Minne uns im Stich, so bleibt immer noch die
Gottesminne. Wenn diese so schön gesungen aus dem CD-Player
klingt, wollen wir uns gerne in andächtige Demut flüchten!
Das Frauen-Ensemble Peregrina um Agnieszka Budzińska-Bennett widmet
sich dem prophetischen Jesus-Vorgänger Johannes dem Täufer.
Eine Quelle der hier erklingenden Musik ist das Kloster
Sigena des Ordens des Heiligen Johannes von Jerusalem mit einstimmigen
liturgischen Stücken. Diesen stellt Peregrina die raffiniert
gesetzte frühe Mehrstimmigkeit aus dem Zisterzienserinnen-Kloster
Las Huelgas entgegen. Ein reizvoller Kontrast verschiedener
Kompositionsweisen, Denkansätze und Liturgien wird deutlich. Die klösterliche Welt vom 12.
bis zum 15. Jahrhundert erstrahlt in ihren unterschiedlichen Facetten.
Abgerundet wird die in bester Tonqualität und mit hohem
musikalischen Anspruch umgesetzte Huldigung an die Schwestern aus
Sigena und Las Huelgas überraschenderweise dann doch noch durch ein
Minnelied: Der Trobador Peire Vidal lässt sein sein tieftrauriges,
zärtliches "S'ieu fos en cort" erklingen in der Mitte des
Albums, dazu wurde als Gast ein männlicher Sänger eingeladen:
Mathias Spoery. Das Stück wurde ausgewählt, da es in der
Schluss-Strophe des Liedes die Königin Sancha von Kastilien (ca. 1154 bis 1208) preist, sie ist eine der Gründerinnen
des Frauenklosters Sigena. Das nur von Baptiste Romain stimmungsvoll auf der Vielle
begleitete Trobadorlied wird gefolgt von einer schwungvoll
interpretierten Estampie von Rostainh de Marselha, bis dann wieder die
betörend schönen Frauenstimmen zur Johannespreisung
zurückkehren. (lj)
>> CD bestellen bei Raumklang.
CD des Monats Juli 2013
ENSEMBLE LABYRINTHUS
Carmina Helvetica (Raumklang)
Dass
in der Kirche getanzt werden durfte, passte auch schon im 13.
Jahrhundert vielen Klerikern nicht, aber die alte Sitte aus
vorchristlicher Zeit hielt sich trotzdem lange – insbesondere zu
Ostern und Pfingsten lebten die bekannten Bräuche auf und sorgten
für Freude unter den Frommen. Das Ensemble Labyrithus widmet sich
diesen Tänzen, den „Rondelli“ des 12. - 14. Jh., auf
einem sehr ansprechenden neuen Album mit dem Titel „Carmina
Helvetica“. Tänze und Gesänge aus Schweizer
Klöstern und Bibliotheken werden zum Klingen gebracht, ein nicht
unbeträchtlicher Teil der dort lagernden Werke sind sogar Unikate.
Die im Titel ausgedrückte Nähe zu den „Carmina
Burana“ ist nicht zufällig: Zum einen sind die beiden
einzigen namentlich überlieferten Autoren Walther von Chatillon
und Philipp, der Kanzler, die ja auch im Benediktbeurer Kontext
auftauchen. Zum anderen sind die Rondelli oft sehr spielmännisch
und zupackend in der Klangsprache und stehen der Musik der Vaganten und
Scholaren näher als der typischen geistlichen Musik ihrer Zeit.
Diese findet auf dem Album aber auch ihren Platz durch herrliche
Conducti in Notre-Dame-Tradition. Musiziert wird innig und
selbstvergessen, man scheut auch keine improvisatorischen
Einschübe und bezieht deutlich Position gegen die reine
A-cappella-Kirchenmusik. Dies auch im Booklet mit deutlichen Belegen
für instrumental begleitete geistliche Musik im Hohen Mittelalter.
Das Moskauer Ensemble ist auf alle Fälle eine Bereicherung
für die Mittelaltermusikszene. Die auch klanglich höchst
ansprechende Aufnahme entstand in der Kirche St. Nikolaus
(Kotelniki/Moskau). (lj)
>> CD bestellen bei Raumklang.
CD des Monats Juni 2013
HOLGER SCHÄFER u.a.
Der Sängerkrieg auf der Wartburg
(Dingo Musik und Theater e.V.)
Die
vorliegende CD enthält die Grimmsche Fassung des Sängerkriegs
aus dem Buch "Deutsche Sagen" (bis zum Empfang Klingsors durch den
Landgrafen Hermann) und eine, auf der Grimmschen Fassung und ihren
mittelalterlichen Vorlagen basierende, ausführliche
Ausschmückung der Geschichte. Erzähler ist Holger
Schäfer, der sich dem Sängerkrieg schon bei vielen Auftritten
ausführlich gewidmet hat. Neben den sehr stimmungsvoll
erzählten Passagen stehen Lieder der Protagonisten des
Sängerkriegs - Wolfram von Eschenbach ist mit "Sigunes Klage"
vertreten (gesungen von Schäfer selbst) , Walther von der
Vogelweide mit einer neuhochdeutschen Fassung von "Muget ir schouwen"
(Reinhold Schmidt), Reinmar mit diversen schmerzvollen Klageliedern
(Jochen Faulhammer). Der grimme Bitterolf wird mit Walthers Lied vom
Unkraut aus dem Atze-Zyklus treffend charakterisiert (Hans Hegner). Der
Rebell Heinrich von Ofterdingen (Malte Lange) stimmt sein
Fürstenlob auf den Babenberger Herzog Leopold im Thüringer
Herrenton an, wie er in der Jenaer Handschrift überliefert
ist. Klingsor (Knud Seckel) stellt sich als versierter
Meistersänger seiner Zeit mit Minne-Klassikern wie
Kriemhilds Falkentraum und dem Lerchenlied Ventadorns vor. Seine Vision
von der Geburt der Heiligen Elisabeth frei nach Dietrich von Apolda
erklingt als Chorgesang zur Melodie des Schwarzen Tones in der
eingängigen Kolmarer Fassung. Ebenfalls aus der Kolmarer
Handschrift stammt die einzige überlieferte Melodie, die dem
Tugendhaften Schreiber zugewiesen wird: Seine reizende
"Grußweise" ist ein echtes Kleinod. Es wird hier von Holger
Schäfer auf der Traversflöte vorgestellt, dazu zwitschern die
Nachtigallen. Alles in allem ein guter musikalisch-textlicher Einstieg
ins hochkomplexe Thema. (gl)
> Die CD gibt's für 15 Euro plus 3 Euro Versand bei Minnesang.com.
CD des Monats Mai 2013
LES DERNIERS TROUVÈRES
Retours en Forêt - Back To The Forests
(Des Chansons Sur Mesure)
Naturverbunden,
lebensfroh, farbenprächtig und ein wenig versponnen - so lieben
wir sie, die Derniers Trouvères. Diesmal rufen sie uns nicht
dazu auf, die Schönheit von Schlössern oder Klöstern zu
genießen, sondern sie locken uns hinein in die Wälder.
"Zurück in den Wald" ist nun ihr Motto, das sie auf diesem
Album erstmals zweisprachig zelebrieren. Einige Lieder sind
nämlich in englischer Sprache gehalten, doch auch die haben einen
entzückenden französischen Akzent. Es geht darum, das
Gespräch mit den Bäumen wieder aufzunehmen, ins satte
Grün einzutauchen und die Schönheiten hinter der virtuellen
und industriellen Welt wieder wirken zu lassen. Dabei kommen auch die
alten Druiden wieder zum Zuge und auch die Barden dürfen
einstimmen. Sogar ein Löwe und ein Einhorn kommen vorbei, doch
alles kein Grund zur Sorge: Die Sehnsucht nach dem kraftvoll
erfüllten Leben scheint durch alle Lieder und Geschichten
hindurch. Dass sich die Kraft überträgt, machen die
schönen Stimmen - vor allem im Chorgesang - und der gut
aufeinander abgestimmte Klang der Instrumente. Die stets ansprechenden,
folkloristisch angehauchten Melodien der Lieder stammen von Isline Dhun
und Florian Lacour. Das schönste Lied aber wurde auch von der
schillerndsten der Paradiesblumen Marie Milliflore selbst beigesteuert:
Auf englisch und französisch wird die explosive Kraft des Mayen
gepriesen und die "Vireurs" zum Tanze gerufen. Da möchte man
gleich einstimmen, mitspielen und tanzen! Jetzt muss die Sonne aber
kommen! (lj)
CD des Monats April 2013
EVO
Eva (Song Surfer/Cargo Records)
Keine
Frage, diese Gruppe aus Spanien ist die große Hoffnung am
Mittelalter-Himmel: Evos großartige Live-Version von Jauffre
Rudels „Lanquan li jorn“, dem unsterblichen Lied über
seine „Lieb so fern“ stand, bezauberte mich schon vor zwei
Jahren bei Youtube. Nun gibt es also auch ein Album, das ganz dem Sang
der Trobadors gewidmet ist. „Lanquan li jorn“ wird dabei
noch weiter verfremdet, die sphärischen Flächen im
Hintergrund – laut Booklet von Efrén Lopez Sanz mit
Drehleiern produziert – könnten auch aus der
Synthie-Werkstatt von Pink Floyd kommen, doch mit einem herrlich
inspirierten Oud-Solo erdet Sanz das ganze wieder. Er ist Mastermind
des Ensembles, das sich selbst als „Band“ bezeichnet, seine
unerschöpfliche klangliche Fantasie prägt das Album, Miriam
Encinas Lafitte und Laia Puig Olives begeben sich mit Flöten,
Dudelsack und divesem Schlagwerk mit Wonne in diese Klangwelt
hinein. Doch das ist nur die halbe Miete: Der Sound von Evo wird
vor allem durch die ebenso sanfte wie raue, ebenso elegische wie
erdgebundene Stimme des Sängers Iván Lopez Sanz
geprägt. Er kommt aus der Rockszene und kam bei Evo erstmals
überhaupt mit mittelalterlicher Musik in Kontakt. Das
ermöglicht einen unbefangenen Zugang und ungewohnte
Stimmfärbungen. Manchmal stellt er auch seine weiblichen Anteile
in den Vordergrund stellt, bei Raimon de Miravals „Bel m'es
qu'ieu“ singt er wie einstmals Freddy Mercury gar mit sich selbst
im Chor. Man sieht, das ganze hat trotz der Verwendung eines
großen Arsenals alter Instrumente nichts mit der
puristischen Kälte vermeintlich authentischen Musizierens zu tun.
Auch in puncto Aufnahmetechnik werden alle Register gezogen, wenn's
nötig ist, dann fährt man wieder zurück bis kurz vor der
Hörbarkeitgrenze. Doch egal, ob laut, ob leise: das
Musizieren ist aber immer von Leidenschaft und Intensität
geprägt. Und egal, ob die Arrangements modern oder historisch
klingen, immer ist der große Respekt vor der Musik der Trobadors
spürbar. Das Projekt ist übrigens Miriams Mutter Maria
Lafitte gewidmet, der 2008 viel zu früh verstorbenen Sängerin
von Folklore und Trobadormusik, die u.a. mit Oni Wytars zu hören
war. Ein wenig von ihrem Geist lebt und entwickelt sich in der Musik
von Evo weiter. (lj)
> Live-Version von Lanquan li jorn bei Youtube.
> CD bestellen bei Amazon.
CD des Monats März 2013
ONI WYTARS
La Follia (Deutsche Harmonia Mundi)
Narren
und Kinder sagen die Wahrheit, der Hofnarr hatte sogar als einziger im
Umkreis des Königs das Recht dazu und in Russland wurden über
die Jahrhunderte die Gottesnarren als geradezu heilige Figuren im
öffentlichen Leben geduldet und unterstützt. Insofern ist es
eine großartige Idee dem "Triumph der Narren" ein ganzes Album zu
widmen. Das bei aller Akribie der musikalischen Mittel stets innovative
und kreative Ensemble Oni Wytars um den lebensfrohen Marco Ambrosini,
selbst ein liebenswerter Narr im besten Sinne, gibt sich ganz der
Narretei hin. Alle 19 Tracks tragen die „Follia“ im Titel:
Dies ist eine Kompositionsform, die mit der Renaissance aufkam und sich
dadurch auszeichnet, dass jede Variation noch verrückter sein soll
als die vorhergehende. Damit die fröhlich-närrische Spielerei
noch Musik bleibt und nicht in Dilettantismus oder, noch schlimmer,
stumpfsinnigen Frohsinn abgleitet, ist höchste Virtuosität
und sichere Handhabung der Instrumente ein Muss. Dazu hat Ambrosini
wieder ein hochkarätiges Ensemble zusammengestellt – ein
gutes Dutzend Musiker sind am Start, neben alten Bekannten wie der auf
den Punkt trommelnden Katharina Dustmann, dem Sänger und
Saitenkünstler Peter Rabanser und der stimmgewaltigen Belinda
Sykes auch Jule Bauer von Triskilian, Michael Posch von Unicorn, Su
Ehlers von Haggard und Ian Harrison von Les Haulz et les Baz. Mit einem
umwerfend abwechslungsreichen Instrumentarium bekannter und abseitiger
historischer Instrumente widmet man sich den Werken von Falconieri bis
Vivaldi, von Ortiz bis Valderrábano und schummelt auch ein paar
Eigenkompositionen den Meisterstücken auch eigene Werke
streut auch mal Eigenkompositionen ins Programm. Herrlich auch die
beseelten Chorsätze, die dann aus dem Wohlklang ins Hysterische
abgleiten dürfen wie am Schluss der „Follia Sinfonia
Paduana“ von Marco Uccellini. All das ist übrigens
einem Urnarren gewidmet: Ersamsus von Rotterdam, der vor 500 Jahren
sein „Lob der Torheit“ veröffentlichte.
> Ensemble-Website.
> CD bestellen.
CD des Monats Februar 2013
ULRICH MÜLLER, REINHARD WIEDEMANN,
EBERHARD KUMMER
Wartburgkrieg und Tannhäuser-Ballade (Chaucer-Studio)
Der
Sängerkrieg auf der Wartburg ist harter Stoff. Obwohl die Dichtung
im Mittelalter einen hohen Stellenwert hatte und in vielen
Handschriften auftaucht, ist sie doch in allen Ausuferungen ein fast
unübersichtliches Terrain, dessen genaue Auslotung großes
Fachwissen und Einfühlung ins mittelalterliche Denken erfordert.
Obwohl in der Jenaer Liederhandschrift und der Kolmarer
Liederhandschrift sangbare Melodien überliefert sind, gibt es das
Werk als Ganzes bislang noch nicht auf CD, selbst nach Auszügen
muss man lange suchen. Zumindest was den populärsten und noch am
leichtesten nachzuvollziehenden Teil, das
„Fürstenlob“, angeht, gibt es aber eine brauchbare
Zusammenfassung auf CD. An ihr hat noch der kürzlich verstorbene
Germanist Prof. Dr. Ulrich Müller mitgewirkt, er gibt zu Beginn
des Mitschnittes eines Auftritts im Wiener Kulturforum eine fast
10-minütige Einführung. Sodann schlüpft Reinhold
Wiedemann, begleitet vom allseits rührigen Eberhard Kummer, in die
Rollen der unterschiedlichen Akteure Walther, Wolfram, Heinrich,
Reinmar, Bitterolf und „Der Tugendhafte Schreiber“, die
Rollenwechsel werden jeweils per Zuruf angekündigt. Wiedemann gibt
alles, schließlich steckt in den Texten viel Emotion, Emphase und
Empörung, denn es geht um Kopf und Kragen. Doch Stempfel muss am
Ende mit dem Strick abziehen, denn die Landgräfin beschützt
den aufmüpfigen Heinrich vor dem Tode. Und wer es immer noch nicht
weiß: Heinrich ist der von Ofterdingen und nicht der
Tannhäuser, wie erst Herr Wagner behauptet. Es geht auch nicht um
lüsterne Ausflüge zum Venusberg, sondern um Ehrlichkeit,
Höflichkeit und Gefolgschaft. Die Vorstellung des Wagnerschen
Helden ergänzt am Ende Eberhard Kummer, der die CD um eine geniale
Version der
Tannhäuser-Sage in einer Vertonung aus dem 15. Jahrhundert
bereichert. So bekommt man die beiden doch sehr unterschiedlichen
Zutaten zu schmecken, die Wagner im 19. Jahrhundert vermischt hat,
nicht ohne eine ordentliche Prise Liebestod-Schmalz hinzuzugeben. Damit
entstand ja unser etwas verzerrtes Bild vom Wartburgkrieg. Danke an die
Akteure fürs Zurechtrücken! (lj)
> Mehr zum Thema hier.
CD des Monats Januar 2013
DULAMANS VRÖUDENTON
Sinnliches Mittelalter (Domino)
Aus
Anlass der Auflösung von "Dulamans
Vröudenton" sei hier auf einen echten Klassiker
verwiesen, der bei jedem Mittelalterfreund in den Plattenschrank
gehört: das Album "Sinnliches Mittelalter" des hochkarätigen
Salzburger Ensembles. Nach einer zierlichen "Ductia" leitet Neidharts
Winter-Abschiedsklassiker den Reigen ein: Hier holt sich der Ritter bei
der Dame eine Abfuhr und begibt sich statt dessen zu den
"Dörpern", um ihnen das Tanzen zu lehren. Dem Tanz
folgt dann ausklingende Sinnlichkeit am frühen Morgen: Ein
"Owê"-Tagelied des großen Heinrich von Morungen, von Thomas
Schallaböck herrlich schlicht und stimmig vertont. Ihr
schneeweißer Leib lockte
ihn in der Nacht in lieblicher Nacktheit, doch nun wird es Tag und
alles
geht dahin. Die Tränen werden getrocknet durch eine
zupackend-freche Version von "Kalenda Maya", bis eine echte Entdeckung
folgt. In "Traege Minne" beklagt der "Schulmeister von Esslingen", dass
ihm sein kleiner Freund nicht mehr beistehen will, was die Damen sehr
erbost: "Solange er noch stehen konnte, traf mich der Zorn der Damen
nicht, nun lässt er mich im falschen Moment im Stich". Der Held
will einfach nicht mehr in den Kampf. Der
Sänger hofft aber, dass sich alles ändert, wenn ihm bei
seiner edlen Dame Wein und gutes
Essen auf den Tisch kommt. Ein ganz anderer Blickwinkel der Minne dann
in
Walther von der Vogelweides "Stille Minne" beleuchtet: Eine Frau kann
und darf der Welt nicht eingestehen, dass sie einen Ritter liebt und
begehrt. Doch in Wahrheit kann sie sich kaum noch
zurückhalten und fürchtet, bald schwach zu werden. Damit
folgt eines der wunderbarsten erotischen Lieder
des ganzen Minnesangs: Ulrich von Liechtensteins "Sumervar ist nu gar",
hier unter dem Titel "Minne Fröiden Spil" in der Vertonung von
Alois Pagitsch zu hören. Vom Natureingang über die
Minnepreisung bis hin zur hochpoetischen Schilderung der
Erfüllung aller Sehnsüchte: Ulrichs Lied vom
"kleinvielhitzeroten Mund", der erst minnewund und dann gesund
wird, braucht den
Vergleich mit Walthers "Linde" nicht zu scheuen! Natürlich
gehört auch noch ein Oswald in diesen Kontext: Das "traute
Berbelin" ist eine
unbeschwert-liebestolle Alm-Szene. Thematisch eng verwandt erklingt das
"Kühhorn" des Mönchen von Salzburg, bei dem das Ensemble zu
komödiantische Hochform aufläuft. Gottfried von
Neifens "Büttner" schließlich ist eine Art Vorläufer
von Peter Gabriels "Sledgehammer", hier freut sich die Dame, dass sie
endlich mal den "tribelwegge" des "büttenaeres" in die Hand nehmen
darf. Die Lieder der hohen und niederen Minne, oft auch in stilsicheren
Eigenvertonungen, werden ergänzt durch sinnenfrohe Tänze, bei
denen immer wieder Peter Immanuel Kraft (damals noch als Peter
Giesmann) auf diversen Blasinstrumenten brilliert. (lj)
> Artikel "Abschied Dulamans Vröudenton" hier.
> Die CD gibt's für 15 Euro plus 3 Euro Versand bei Minnesang.com.
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CD DES JAHRES 2015
Per-Sonat: Walther von der Vogelweide - Lieder von Macht und Liebe (Christophorus)
Angesichts
der Bedeutung und des Ruhms von Walther von der Vogelweide ist es
erstaunlich, dass bislang nur wenige Alben ausschließlich seinem
Werk gewidmet ist. Der Minnesang.com-Redaktion liegt hier jedenfalls
bislang erst der dritte Walther-Longplayer vor: Zunächst der
Bärengässlin-Klassiker von 1980, dann die
Verlag-der-Spielleute-Compilation „Saget mir ieman: waz ist
Minne?“ (2007) und nun „Lieder von Macht und
Liebe“ von Per-Sonat. Das Problem bei jedem derartigen Projekt
ist natürlich die extrem eingeschränkte, zudem
äußerst disparate Melodienüberlieferung, die einem
übergroßen Textkorpus gegenüber steht. So muss man
nicht nur suchen und sammeln, sondern auch die Kreativität walten
lassen, um Text und Musik adäquat zu würdigen und
zusammenzubringen. Das vorliegende Werk ist trotzdem aus einem Guss,
dafür gebührt dem Ensemble höchstes Lob. Auf
bewährten Pfaden bewegt man sich allein mit dem
„Lindenlied“ in der „En-mai“-Melodie und dem im
Münsterschen Fragment überlieferten
„Palästinalied“: Bei beiden Stücken hat sich eine
Interpretationstradition etabliert, die kaum noch Spielraum lässt.
Aber man kann auch anderes probieren: So wurde der Reichston nicht wie
üblich nach Puschmanns Singebuch vertont, sondern nicht minder
eindrucksvoll im Kreuzton nach Valentin Voigt. Sehr schön auch das
vieldeutige Lied „Do der sumer komen was“ zu einer Weise
des melodisch stets großartigen Meister Alexander aus der Jenaer
Liederhandschrift. Das lyrisch beeindruckende Vokalspiel „Die
welt was gelf rot unde bla“ - alle Reime der ersten Strophe enden
auf a, in den weiteren Strophen folgen e, i, o, u - wurde in
einer Melodie des Trouvères Gautier d'Espinal umgesetzt, auch
das ein Glücksgriff! Höhepunkt der eigenen Denkarbeit ist die
Umsetzung des Unmutstones, wobei man Teile des unvollständig
überlieferten König-Friedrichs-Tones um einen Teil des
Conductus „Unicornis captivatur“ aus dem Codex Engelberg
ergänzt hat. Erstaunlich auf den ersten Blick, aber es
funktioniert! Frau Lutzenberger singt wie immer strahlend schön,
was dort, wo's minniglich, lyrisch oder sakral wird, besonders gut
wirkt. Bei Walthers Trotz- und Wutausbrüchen fehlt einem manchmal
dann doch eine aufbegehrende Männerstimme. Die instrumentale
Umsetzung mit Fideln, Dreh- und Streichleier, ab und zu Sackpfeife und
Flöte wirkt rund und stimmig, auch Baptiste Romains
Zwischenspiele, die manch überlieferte Melodik fortspinnen,
passen. Erfreulich, dass hier auch der Walther zugeschriebene
„goldene Ton“ erklingt. Insgesamt eine schöne Mischung
aus Minne und Spruchgesang, aus Klassikern und mancher Neuentdeckung. (lj)
> Walther-CDs bestellen:
- Per-Sonat: "Walther von der Vogelweide - Lieder von Macht und Liebe" hier.
- Diverse: "Walther von der Vogelweide - Saget mir ieman: waz ist Minne?" hier.
- Bärengässlin: "Walther von der Vogelweide" hier.
CD des Jahres 2014
SABINE LUTZENBERGER/NORBERT RODENKIRCHEN
In vergessenen Tönen - Die Sangsprüche Meister Frauenlobs
(Marc Aurel Edition/Raumklang)
Heinrich
von Meißen alias Frauenlob war für seine Zeitgenossen eine
unbestrittene Autorität: Meister des geblümten Stiles,
Dichter und Komponist ausgedehnter Leiche, Brückenbauer zwischen
Minne und Mystik und hochkarätiger Sangspruchdichter. Kein Wunder,
dass die Manesse ihn als Lehrmeister der Dichter und Musikanten
präsentiert, dass die Meistersänger ihn zu ihren großen
Vorbildern zählten und dass von ihm Notenmaterial in
ungewöhnlich großem Umfang überliefert ist. Der
Bedeutung des Mannes fürs Mittelalter diametral entgegen steht der
geringe Anteil von Frauenlob-Werken in der aktuellen
Aufführungspraxis, so dass man wirklich fast schon von
„vergessenen Tönen“ sprechen kann. Wahrscheinlich ist
uns nüchternen Menschen das Frauenlob-Oeuvre doch ein wenig zu
„geblümt“, da können wir uns mit Walther oder
Neidhart eher identifizieren. Dem Duo Rodenkirchen-Lutzenberger hat es
dieser Mann aber angetan: Nach der viel gerühmten
„Taugenhort“-Produktion geht es nun weiter mit einem
Einblick vor allem in das Sangspruch-Schaffen. Schon der Einstieg
überzeugt: „Ich saz uf einer gruene“ stellt den
Meister als Beobachter und Denker in die Walther-Tradition. „Mit
jungen junc“ zeigt dann, dass Frauenlob in Text und Melodie auch
klar und einprägsam sein kann: Halte Maß und wäge ab,
was und wo geboten ist! Ganz anders die vieldeutige Minne-Reflektion
„Swer minne schilt vil vueren“, eine meiner
Lieblingsstellen in Frauenlobs Werk – hier gibt es unendlich viel
Interpretationsspielraum, wie der „Wappenschild der Minne“
nun zu führen ist; man kann sich dabei aber auch einfach an
den Worten und Klängen berauschen oder ganz tief in sich
hineinhören. Mit Traversflöten, Harfe und Lutzenbergers
herrlichem Sopran finden die beiden Musiker stets die angemessene
Umsetzung. Frauenlob wird trotz seiner Genialität nicht als
Einzelphänomen betrachtet, sondern auch noch in einen Kontext
gestellt: Instrumental klingen Zeitgenossen wie die Spruchsänger
Der Unverzagte und Der Kanzler an, aber auch der geistliche Hymnen- und
Sequenzen-Komponist Adam de St. Victor aus dem 12. Jahrhundert. Seine
Musik wird auch den Worten von Meister Eckart unterlegt – der
einflussreiche, aber auch umstrittene Theologe und Philosoph wird hier
als unerwarteter Geistesverwandter von Frauenlob vorgestellt.
Übrigens genau in der Mitte der CD, vielleicht ein Verweis auf die
große Rolle, die Spiritualität und Frömmigkeit für
Frauenlobs Werk haben! Das letzte Wort hat natürlich Frauenlob
selber: Der Sangspruch „Daz ende sagt volkomenheit der
dinge“ zeigt auf, wie wichtig es ist, alles zu einem gelungenen
Abschluss zu bringen. Das Duo findet zum guten Ende einer auch
klanglich betörend schönen CD und setzt dem Liedvortrag als
i-Tüpfelchen noch eine nachdenkliche Harfen-Coda hintan. (lj)
>> Die CD ist bei Minnesang.com erhältlich zum Preis von 15 Euro plus 3 Euro Versand!
CD des Jahres 2013
EVO
Eva (Song Surfer/Cargo Records)
Keine
Frage, diese Gruppe aus Spanien ist die große Hoffnung am
Mittelalter-Himmel: Evos großartige Live-Version von Jauffre
Rudels „Lanquan li jorn“, dem unsterblichen Lied über
seine „Lieb so fern“ stand, bezauberte mich schon vor zwei
Jahren bei Youtube. Nun gibt es also auch ein Album, das ganz dem Sang
der Trobadors gewidmet ist. „Lanquan li jorn“ wird dabei
noch weiter verfremdet, die sphärischen Flächen im
Hintergrund – laut Booklet von Efrén Lopez Sanz mit
Drehleiern produziert – könnten auch aus der
Synthie-Werkstatt von Pink Floyd kommen, doch mit einem herrlich
inspirierten Oud-Solo erdet Sanz das ganze wieder. Er ist Mastermind
des Ensembles, das sich selbst als „Band“ bezeichnet, seine
unerschöpfliche klangliche Fantasie prägt das Album, Miriam
Encinas Lafitte und Laia Puig Olives begeben sich mit Flöten,
Dudelsack und divesem Schlagwerk mit Wonne in diese Klangwelt
hinein. Doch das ist nur die halbe Miete: Der Sound von Evo wird
vor allem durch die ebenso sanfte wie raue, ebenso elegische wie
erdgebundene Stimme des Sängers Iván Lopez Sanz
geprägt. Er kommt aus der Rockszene und kam bei Evo erstmals
überhaupt mit mittelalterlicher Musik in Kontakt. Das
ermöglicht einen unbefangenen Zugang und ungewohnte
Stimmfärbungen. Manchmal stellt er auch seine weiblichen Anteile
in den Vordergrund stellt, bei Raimon de Miravals „Bel m'es
qu'ieu“ singt er wie einstmals Freddy Mercury gar mit sich selbst
im Chor. Man sieht, das ganze hat trotz der Verwendung eines
großen Arsenals alter Instrumente nichts mit der
puristischen Kälte vermeintlich authentischen Musizierens zu tun.
Auch in puncto Aufnahmetechnik werden alle Register gezogen, wenn's
nötig ist, dann fährt man wieder zurück bis kurz vor der
Hörbarkeitgrenze. Doch egal, ob laut, ob leise: das
Musizieren ist aber immer von Leidenschaft und Intensität
geprägt. Und egal, ob die Arrangements modern oder historisch
klingen, immer ist der große Respekt vor der Musik der Trobadors
spürbar. Das Projekt ist übrigens Miriams Mutter Maria
Lafitte gewidmet, der 2008 viel zu früh verstorbenen Sängerin
von Folklore und Trobadormusik, die u.a. mit Oni Wytars zu hören
war. Ein wenig von ihrem Geist lebt und entwickelt sich in der Musik
von Evo weiter. (lj)
> Live-Version von Lanquan li jorn bei Youtube.
> CD bestellen bei Amazon.
CD des Jahres 2012
LEONES
Neidhart - A Minnesinger and his "Vale Of Tears" (Naxos)
Marc
Lewon und seine Leones fügen bei dieser Einspielung der
frühesten Melodienüberlieferung Neidharts (Frankfurter
Fragment) der umfangreichen Neidhart-Rezeption die fehlende
Nuance hinzu. Im öffentlichen Bewusstsein ist der
Minnesänger, der auf satirische Weise den Niedergang des Adels und
den Aufstieg des Bauerntums in den Blick nahm, durch viele
grobschlächtige Interpretationen selber als eine Art Dörper
präsent. Dass der Mann ein höchst kunstfertiger Poet und
Sänger von sensiblem Gemüt war, fällt dabei unter den
Tisch. Diese Einspielung führt Neidhart in die höfische
Tafelrunde zurück! Schon dafür gebührt die Auszeichnung
als CD des Jahres. Marc Lewon ist aber zusätzlich für sein
großes musikalisches Engagement für die Musik des hohen und
späten Mitttelalters zu ehren, denn auf vielen bemerkenswerten CDs
der letzten Zeit (Glogauer Liederbuch, Peregrina, La Bella Mandorla,
Les Flamboyants, Unicorn) ist er zu hören. (lj)
> Die Original-CD-Kritik findet sich hier.
> Neidhart in der Bibliothek der Minnesänger.
> Magisterarbeit von Marc Lewon zum Frankfurter Neidhart-Fragment.
> Die CD gibt's für 15 Euro plus 3 Euro Versand bei Minnesang.com.
CD des Jahres 2011
Oni Wytars "Mediterraneum" (Sony Music)
Keine Frage, das ist sie: Die CD des Jahres 2011 aus der Sparte mittelalterlicher, minniglicher, meisterhafter Musik! Das
Mittelmeer galt im Mittelalter als Mittelpunkt der bewohnten Welt, die
Musik des Mitttelmeerraums kommt also aus der Mitte des Seins. Oni
Wytars nehmen das als Auftrag und nähern sich der
Überlieferung nicht akademisch, sondern spirituell: also sozusagen
meditativ-mediterran. Marco Ambrosini, Katharina Dustmann, Peter
Rabanser, Michael Posch und die beeindruckende Vokalistin Belinda Sykes
sind nicht nur brillante Musiker, sondern selber auch
"mittendrin": an vielen Orten mit offenen Ohren dabei, immer bereit
für gemeinsames Musizieren, das Einatmen von Impulsen,
Spieltechniken, Melodien, Skalen und Klangcharakteristika. Deshalb
gelingt der Grenzgang zwischen Orient und Okzident, zwischen
akribischer Recherche und spontaner Improvisation, ohne dass daraus -
wie bei vielen anderen Ensembles - ein beliebiges Allerlei wird. Als
Fixpunkte in den manchmal ungewohnten Klangwelten dienen Klassiker des
Ensembles wie "Jalla man", der gute alte Saltarello und "Stella
splendens" - letzteres in einer 8-Minuten-Version von berückender, ja beglückender
Intensität! Die jahrelange Beschäftigung mit Melodien hilft
den Musikern, zu Tiefenschichten vorzudringen, die andere nicht
erreichen können. Gleichzeitig erlebt man Momente der
Vertrautheit, bis man wieder bereit ist, Neues zu entdecken. Ein
weiterer Beweis für die Meisterschaft des Weltklasse-Ensembles,
das den Mittelpunkt zeitgemäßer Mittelalter-Interpretation
trifft! (lj)
> CD bestellen bei Amazon.
> Website des Ensembles hier.
>> Zur Triskilian-Website.
CD DES JAHRES 2010
Ougenweide: "Herzsprung" (Große Freiheit/Bureau B)
Zum
40-jährigen Bühnenjubiläum von Ougenweide erschien im
März 2011 das erste Studio-Album der unbestrittenen Pioniere des
Mittelalter-Rocks nach eineinhalb Jahrzehnten. Im
Mittelpunkt des Albums stehen dezente und hoch inspirierte Vertonungen
von Texten, deren literarisches Spektrum vom frühen Mittelalter
bis zur Romantik reicht. Die Veröffentlichung des Albums
wurde überschattet durch den Tod von Ougenweide-Gründer Frank
Wulff, dessen musikalische Handschrift das Album von der ersten bis zur
letzten Note prägt. So wurde das Album, das sich qualitativ
problemlos mit den gefeierten Werken der Frühphase wie
"Ohrenschmaus" und "All die weil ich mag" messen kann, auch zu seinem
Vermächtnis. Ougenweide bewiesen aber auf Konzerten in Hamburg,
Bonn und Fulda, dass sie in Frank Wulffs Geist weitermusizieren
können und diese wunderbare Musik auch live großartig
funktioniert. Die heutige Mittelaltermusik-Szene huldigte Ougenweide
mit einem Tributkonzert im Juni auf Burg Falkenstein, einem "Ouwe" mit
großer Besetzung beim Festival Mediaval im September in Selb
sowie den beiden Alben "Tribut an Ougenweide" und "Merseburger
Zaubersprüche".
Angesichts der Veröffentlichung des Albums schrieb Minnesang.com im Februar 2010 folgende Rezension:
Im Gegensatz zum Vorgängeralbum "Sol", das in synthetischen
Klängen geradezu badete, hat man sich bei "Herzsprung" Natur
pur verordnet. Zum Klingen kommen Instrumente, die die Gebrüder
Wulff aus aller Herren Länder nach Hamburg ins heimische
O-Ton-Studio gebracht haben. So erklingen in trauter Eintracht
Tritonshörner, Launedda, Duar, Koto, Monochord und manch andere
exotische (oder historische) Köstlichkeit. Ougenweide gelingt
es, aus einer deutlich gereiften Perspektive an die Siebziger
anzuknüpfen. Mechthild von Magedeburgs "Dy minne", die brillante
Merseburger Zauberspruch-Vertonung "Phol ende Uuodan" und "Der welsche
Tanz" klingen ganz wie in den besten Tagen. Allerdings ist an die
Stelle der jugendlichen Unbefangenheit von einst die
Klangsensibilität eines an Musik und Erfahrung reichen Lebens
getreten! Die Arrangements sind über Jahre gewachsen und wurden
mit Liebe zum kleinsten Detail ausgearbeitet. Neben dem von Olaf
Casalich beseelt und rhythmisch zupackend gesungenen Pferdezauber "Phol
ende Uuodan", über dem ein herrlicher fünfminütiger
Spannungsbogen liegt, gibt es ein weiteres Meisterstück: Sabine
Maria Reiß interpretiert geradezu entrückt das tieftraurige
"Ich sachs eins mals", in dem sich die Liebessehnsucht des Glogauer
Liederbuches mit den Schmerzen aus Blues und Klezmer verbinden. Die
Band, die Vorbild für die gesamte Mittelaltermusikszene ist,
beschließt ihr Album augenzwinkernd mit einem einminütigen
Epilog vom Kaliber "Merseburger Spieluhr". Ein reifes Werk von
abgeklärten Musikern, die wissen, worauf es im Leben ankommt -
vergleichbar nur noch mit den aktuellen Produktionen von Sting oder
Peter Gabriel! (lj)
> CD bestellen bei www.minnesang.com!
> Website zur CD hier.
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