CD-Cover WaltherWALTHER VON DER VOGELWEIDE
"Saget mir ieman: waz ist Minne?"

Hier finden sich alle Texte der Lieder der CD im Original und in der Übersetzung. Die Übertragungen ins Neuhochdeutsche stammen von Hans Hegner, der selbst als Sänger mit auf der CD vertreten ist!

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Verlag der Spielleute01 Ôwê war sint verswunden alliu miniu jâr - Hans Hegner
02 Saget mir ieman: waz ist Minne? - Michael Hoffkamp
03 Wol mich der stunde - Frank Wunderlich
04 Herzeliebes Frouwelîn - Dulamans Vröudenton
05 Uns hât der winter geschât über al - Knud Seckel
O-ton-Studio
06 Ihr müsst nur schauen - Musiktheater Dingo
07 Gêrhart Atze - Hans Hegner                              
08 Halmorakel - Anno Domini

09 Als die sunne schienet - Violetta

10 Unter der Linde -  Musiktheater Dingo

11 Diu werlt was gelf, rôt unde blâ - Knud Seckel  

12 Traumglück - Poeta Magica

13 Herre Bâbest - Frank Wunderlich               
         
14 Ich saz ûf einem steine - Jochen Faulhammer

15 Hêr Volcnant - Marcus van Langen (Des Teufels Lockvögel)
Folkfriends
16 Vil wol gelopter got - Knud Seckel
17 Diu menscheit muoz verderben - Ioculatores

18 Palästina-Lied - Die Himmlischen Heerscharen

19 Ouwe - Ougenweide


01 Ôwê war sint verswunden alliu miniu jâr

 
INTERPRET: HANS HEGNER

Ôwê, war sint verswunden
alliu mîniu jâr!
ist mîn leben mir getroumet,
oder ist ez wâr?
daz ich ie wânde, daz iht waere,
was daz iht?
dar nâch hân ich geslâfen
und enweiz es niht.

Nû bin ich erwachet
und ist mir unbekant,
daz mir hie vor was kündic
als mîn ander hant.
liute unde lant, dar in ich
von kinde bin erzogen,
die sint mir frömde worden,
reht als ob ez sî gelogen.

Die mîne gespilen wâren,
die sint traege und alt.
bereitet ist daz velt,
verhouwen ist der walt.
wan daz daz wazzer fliuzet,
als ez wîlent flôz,
für wâr, ich wânde,
mîn ungelücke wurde grôz.

Mich grüezet maneger trâge,
der mich bekande ê wol.
diu welt ist allenthalben
ungenâden vol.
als ich gedenke an manegen
wünneclîchen tac,
die mir sint enpfallen
als in daz mer ein slac.

iemer mêre ouwê.

 

O weh, wohin sind sie entschwunden,
alle meine Jahre!
Hab ich mein Leben nur geträumt
oder ist es wahr –
von dem ich glaubte, dass es wäre,
war das überhaupt?
Hab ich am Ende nur geschlafen
und weiß es nicht?

Nun also bin ich aufgewacht,
und mir ist unbekannt,
was mir früher war vertraut
wie meine linke Hand.
Land und Leute, wo ich
von Kind an bin erzogen –
alles ist mir fremd geworden,
gerade wie gelogen.

Die meine Gespielen waren,
sind nun träge, alt.
Beackert ist die grüne Flur
und abgeholzt der Wald.
Ja, wenn das Wasser nicht mehr flösse,
wie es damals floss,
fürwahr, ich denke mir,
mein Unglück wäre groß.

Manch einer grüßt mich gerade so –
der kannte mich mal gut!
Die Welt hält überall
Undank für mich bereit.
Da denke ich an manchen
wunderschönen Tag. –
Die Tage sind gefallen,
so wie ins Meer ein Schlag.

Immerfort o weh!


(Übertragung: Hans Hegner)



02 Saget mir ieman: waz ist minne

 
INTERPRET: MICHAEL HOFFKAMP

Saget mir ieman: waz ist minne?
weiz ich des ein teil, sô wist ichs gerne mê.
Der sich baz denn ich versinne,
der berihte mich, durch waz si tuot sô wê.
Minne ist minne, tuot si wol.
tuot si wê, so enheizet si niht rehte minne,
sus enweiz ich, wie si danne heizen sol.

Obe ich rehte râten künne,
waz diu minne sî, sô sprechet denne: "jâ!"
Minne ist zweier herzen wünne:
teilent sie gelîche, sost diu minne dâ.
Sol abe ungeteilet sîn,
sô enkans ein herze alleine niht enthalten.
ôwê, woldest dû mir helfen, frouwe mîn!

Frouwe, ich trage ein teil ze swaere,
wellest dû mir helfen, sô hilf an der zît!
Sî abe ich dir gar unmaere,
daz sprich endelîche! –  sô lâz ich den strît
unde wirde ein ledic man.
dû solt aber einez rehte wizzen, frouwe:
daz dich lützel ieman baz geloben kan.

Kan mîn frouwe süeze siuren?
waenet si, daz ich ir liep gebe umbe leit?
Sol ich si dar umbe tiuren,
daz siz wider kêre an mîne unwerdekeit?
Sô kund ich unrehte spehen.
wê, waz sprich ich ôrenlôser ougen âne!
den diu minne blendet, wie mac der gesehen?

Ich wil alsô singen iemer,
daz si danne sprechent: "er gesanc nie baz!"
Des gedankest dû mir niemer,
daz verwîze ich dir alrest, sô denne daz:
Weistu, wes sie wünschent dir,
daz si saelic sî, von der man uns sô schoene singet?
sich, frouwe, den gemeinen wunsch hâst ouch von mir!

 

Kann mir jemand sagen: Was ist Minne?
Weiß ich davon schon einiges, so wüsste ich doch gerne mehr.
Wer sich besser drauf versteht,
soll mir erklären, warum sie tut so weh.
Minne ist Minne, tut sie gut. –
Tut sie weh, heißt sie zu Unrecht Minne,
doch weiß ich nicht, wie sie dann heißen soll.

Wenn ich es recht erraten kann,
was Minne ist, dann ruft nur alle: "Ja!"
Minne ist zweier Herzen Glück,
erfüllt es sie zu gleichen Teilen, ist die Minne da.
Wird Minne aber nicht geteilt,
vermag ein Herz allein sie nicht zu tragen. –
Ach, wolltest du mir helfen, Herrin mein!

Dame, ich trag an meinem Teil zu schwer –
willst du mir helfen, dann hilf schnell!
Bin ich dir jedoch egal,
so sprich es aus! –  Ich gebe auf die ganze Müh
und bin wieder ein freier Mann.
Doch eines sollst du wissen, meine Dame:
dass niemand schönre Lieder auf dich singen kann.

Kann meine Dame Süßes sauer machen?
Denkt sie, ich schenk ihr Freude, und sie gibt mir dafür Leid?
Soll ich sie erheben,
damit sie mich umso kleiner macht? –
Dann hätt' ich wohl den rechten Überblick verloren.
Doch weh, was red ich ohne Aug und Ohren!
Wen Minne blendet, wie kann der noch sehn?

Ich will also fortan singen,
dass sie alle sagen: "Besser sang er nie!"
Von dir bekomm ich keinen Dank –
das hab ich dir erst vorgeworfen, doch nun höre dies:
Weißt du, warum alle dir nur wünschen,
dass sie glücklich sei, von der so schön gesungen wird? –
Sieh, Dame, diesen allgemeinen Wunsch bekommst du auch von mir!


(Übertragung: Hans Hegner)



03 Wol mich der stunde

 
INTERPRET: FRANK WUNDERLICH

Wol mich der stunde, daz ich sie erkande,
diu mir den lîp und den muot hât betwungen,
sît deich die sinne sô gar an sie wande,
der si mich hât mit ir güete verdrungen,
daz ich gescheiden von ir niht enkan.
daz hât ir schoene und ir güete gemachet
und ir rôter munt, der sô lieplîchen lachet.

Ich hân den muot und die sinne gewendet
an die vil reinen, die lieben, die guoten.
Daz müez uns beiden wol werden volendet,
swes ich getar an ir hulde gemuoten.
Swaz ich zer werlde fröiden ie gewan,
daz hât ir schoene und ir güete gemachet
und ir rôter munt, der sô lieplîchen lachet.

 

Glücklich die Stunde, als sie in mein Leben gekommen,
die mich an Körper und Seele bezwungen,
die all mein Denken und Fühlen genommen
und mich hat mit ihrem Wesen durchdrungen,
dass ich allein ohne sie nicht bestehen kann.
Das hat ihre Schönheit und ihr inneres Wesen gemacht
und ihr roter Mund, der so lieblich lacht.

Ich habe Herz, Mut und Sinne gewendet
hin an die Reine, die Liebe, die Gute.
Dass es uns beiden im Glück werd' vollendet,
was ich auch wage zu hoffen von ihrem beständigen Mute.
Was ich an Freuden nur auf dieser Welt je gewann,
das hat ihre Schönheit und ihr inneres Wesen gemacht
und ihr roter Mund, der so lieblich lacht.


(Übertragung: Hans Hegner)




04 Herzeliebez frouwelîn

 
INTERPRETEN: DULAMANS VRÖUDENTON

Herzeliebez frouwelîn,
got gebe dir hiute und iemer guot!
Kund ich baz gedenken dîn,
des hete ich willeclîchen muot.
Waz mac ich dir sagen mê,
wan daz dir nieman holder ist? dâ von ist mir vil wê.

Sie verwîzent mir daz ich
ze nidere wende mînen sanc.
Daz si niht versinnent sich,
waz liebe sî, des haben undanc!
Sie getraf diu liebe nie –
die nâch dem guote und nâch der schoene minnent; wê wie minnent die?

Bî der schoene ist dicke haz,
zer schoene niemen sî ze gâch.
Liebe tuot dem herzen baz:
der liebe gêt diu schoene nâch.
Liebe machet schoene wîp –
des mac diu schoene niht getuon, si machet niemer lieben lîp.

Ich vertrage als ich vertruoc
und als ich iemer wil vertragen.
Dû bist schoene und hâst genuoc –
waz mugen si mir dâ von sagen?
Swaz si sagen, ich bin dir holt
und nim dîn glesîn vingerlîn für einer küneginne golt.
 
Hâst dû triuwe und staetekeit,
sô bin ich des ân angest gar,
daz mir iemer herzeleit
mit dînem willen widervar.
Hâst aber dû der zweier niht,
sô müezest dû mîn niemer werden – ôwê danne, ob daz geschiht!


Meine liebste kleine Dame,
Gott sei bei dir jetzt und immer!
Fänd' ich bessere Worte für dich,
von Herzen wollt' ich sie dir schenken. –
Was aber kann ich dir noch sagen,
als dass dich niemand lieber hat. –  Dadurch erleid ich manchen Schmerz:

Die Leute halten es mir vor,
du wärst meinem Gesang ein zu geringes Ziel.
Dass sie einfach nicht begreifen,
was Liebe ist, dafür haben sie kein gutes Wort verdient!
Liebe hat sie nie ergriffen –
die um des Reichtums und der Schönheit willen lieben, o weh, wie lieben die!

Zur Schönheit gesellt sich oft ein böses Herz,
der Schönheit laufe niemand hinterher.
Liebe tut dem Herzen besser:
Der Liebe geht die Schönheit nach.
Liebe macht die Frauen schön –
das kann die Schönheit niemals tun, sie macht das Herz nicht gut.

Ich ertrage ihren Vorwurf
in Zukunft wie bisher.
Du bist schön und hast genug –
was können sie mir davon sagen?
Was sie auch sagen, ich hab dich lieb
und nehm deinen gläsernen Fingerring, als wär's das Gold einer Königin.

Wenn du treu und beständig bist,
dann brauch ich keine Angst zu haben,
dass mir jemals Herzeleid
von dir absichtlich widerfährt.
Bist du aber beides nicht,
so kannst du nicht die Meine werden – o weh, wenn das geschieht!


(Übertragung: Hans Hegner)



05 Uns hât der winter geschât über al


INTERPRET: KNUD SECKEL

Uns hât der winter geschât über al:
heide unde walt sint beide nû val,
dâ manic stimme vil suoze inne hal.
Saehe ich die megde an der strâze den bal
werfen, sô kaeme uns der vogele schal.

Möhte ich verslâfen des winters zît!
wache ich die wîle, sô hân ich sîn nît,
daz sîn gewalt ist sô breit und sô wît.
Weiz got, er lât ouch dem meien den strît:
sô lise ich bluomen, dâ rîfe nû lît.

 

Uns hat der Winter viel Schaden gebracht:
hat Heide und Wald ihrer Farbe beraubt,
wo mancherlei Stimme so lieblich erklang. –
Säh' ich die Mädchen am Wege den Ball
werfen, dann käme zurück auch der Vögel Gesang.

Könnt' ich den Winter nur verschlafen!
Solange ich wach bin, hasse ich ihn,
denn seine Macht ist so groß und so weit. –
Doch weiß Gott, eines Tages hat der Mai gesiegt:
dann pflück ich Blumen, wo der Schnee jetzt liegt.


(Übertragung: Hans Hegner)




06 Ihr müsst nur schauen

 
INTERPRETEN: MUSIKTHEATER DINGO

Muget ir schouwen, waz dem meien
wunders ist beschert?
Seht an pfaffen, seht an leien,
wie daz allez vert!
Grôz ist sîn gewalt –
ine weiz, obe er zouber künne:
swar er vert in sîner wünne,
dân ist niemen alt.

Rôter munt, wie dû dich swachest –
lâ dîn lachen sîn!
Scham dich, daz dû mich an lachest
nâch dem schaden mîn.
Ist daz wol getân? –
ôwê sô verlorner stunde,
sol von minneclîchem munde
solch unminne ergân!

Scheidet, frouwe, mich von sorgen,
liebet mir die zît!
Oder ich muoz an fröiden borgen.
daz ir saelic sît!
Muget ir umbe sehen? –
sich fröit al diu welt gemeine:
möhte mir von iu ein kleine
fröidelîn geschehen!

 

Könnt ihr sehen, was dem Mai
für Wunder sind beschert?
Seht Gelehrte und die Laien,
wie sie in Bewegung sind!
Groß ist seine Macht –
ich weiß nicht, ob er zaubern kann:
Wohin er fährt mit seinen Freuden,
da ist niemand alt.

Roter Mund, es steht dir nicht gut an –
hör auf, mich auszulachen!
Und schäm dich, dass du mich verspottest,
wenn ich den Schaden habe.
Ist das recht getan? –
Schade um verlorne Stunden,
wenn ein lieblich schöner Mund
Lieblosigkeit zeigt!

Nehmt mir, Dame, diese Sorgen,
macht mir den Frühling schön!
Sonst such ich anderswo mein Glück
und sag euch Lebewohl.
Schaut euch doch mal um:
Alle Welt freut sich gemeinsam –
könnt' mir nicht von euch ein kleines
Freudelein geschehen?


(Übertragung: Hans Hegner)

Neuhochdeutsch gesungene Version
vom Musiktheater Dingo

(Nachdichtung: Lothar Jahn):

Ihr müsst nur schauen, was der Maien
Uns nun hat beschert.
Alle, die's fühlen, sind im Freien
Froh und unbeschwert.
Er kommt mit Gewalt!
Könnt ihr nicht seinen Zauber sehen:
Wer in diesem Licht darf gehen,
Der ist niemals alt.

Was mich noch hindert mitzumachen,
Herrin, das seid ihr!
Roter Mund, schäm dich, sollst nicht lachen!
Spielst du nur mit mir?
Sei doch nicht so schlecht.
Ach und weh, die verlor'nen Stunden,
Wo ich niemals Trost gefunden,
Das ist nicht gerecht!

Herrin, befreit mich von den Schmerzen,
Liebt mich mit der Zeit.
Das bringt uns Freude in die Herzen,
Dann verfliegt das Leid.
Kann's denn nicht gescheh'n?
Ja, die Welt freut sich ohnegleichen!
Ihr müsst mir die Hand nur reichen,
Um ins Licht zu geh'n!


07 Gêrhart Atze

 
INTERPRET: HANS HEGNER

Mir hât hêr Gêrhart Atze ein pfert
erschozzen zÎsenache.
daz klage ich dem, den er bestât:
derst unser beider voget.
Ez was wol drîer marke wert.
nû hoeret frömde sache,
sît daz ez an ein gelten gât,
wâ mit er mich nû zoget:
Er seit von grôzer swaere,
wie mîn pferit maere
dem rosse sippe waere,
daz im den vinger abe
gebizzen hât ze schanden.
ich swer mit beiden handen,
daz si sich niht erkanden. –
ist ieman der mir stabe?

Swâ guoter hande wurzen sint
in einem grüenen garten
bekliben, die sol ein wîser man
niht lâzen unbehuot.
Er sol si schirmen als ein kint,
mit ougenweide in zarten:
dâ lît gelust des herzen an
und gît ouch hôhen muot.
Sî boese unkrût dar under,
daz breche er ûz besunder
(lât erz, daz ist ein wunder)
und merke, ob sich ein dorn
mit kündekeit dar breite,
daz er den furder leite
von sîner arebeite –
sist anders gar verlorn.

Uns irret einer hande diet:
der uns die furder taete,
sô möhte ein wol gezogener man
ze hove haben die stat.
Die lâzent sîn ze spruche niet –
ir drüzzel derst sô draete,
kunde er, swaz ieman guotes kan,
daz hulfe niht ein blat.
"Ich und ein ander tôre,
wir doenen in sîn ôre,
daz nie kein münch ze kôre
sô sêre mê geschrei." –
Gefüeges mannes doenen
daz sol man wol beschoenen,
des ungefüegen hoenen –
hie gêt diu rede enzwei.


Mir hat Herr Gerhard Atze ein Pferd
erschossen zu Eisenach.
Der Herr, in dessen Dienst er steht,
soll uns die Sache richten.
Drei Goldmark war es gut und gerne wert.
Nun hört die sonderbare Mär,
wie er, wo’s ans Bezahlen geht,
versucht, mir zu entwischen:
Erzählt von großem Schmerz und Weh,
und dass mein wunderbares Pferd
verwandt mit jenem Gaule sei,
der schändlich ihm
den Finger abgebissen hat.
Ich schwöre nun mit beiden Händen,
dass sie sich nie gesehen haben. –
Ist jemand da, der mir den Eid bezeugt?


Wo in einem grünen Garten
gute Kräuter wachsen,
soll sie ein kluger Mann
nicht lassen ohne Schutz.
Er soll sie hüten wie ein Kind
und seine Augen daran weiden:
das schenkt dem Herzen Freude, Lust
und einen frohen Mut.
Doch schlechtes Unkraut reiße er
einzeln sogleich heraus
– wenn nicht, es wäre sonderbar –,
auf dass sich keine Dornenhecke
über seine Arbeit legt,
sie wäre sonst verloren.


Uns stört so ein gewisser Schlag von Leuten –
wenn jemand die verjagen tät',
könnte ein wohlgebildeter Mann
schon seinen Platz bei Hofe finden.
Die Schnauzen schnattern unentwegt,
und sänge jener noch so gut,
es hilft ihm alles nicht die Spur,
sie fallen ihm ins Wort:
"Ich und du und noch ein Tor,
wir gröhln ihm unser Lied ins Ohr,
so laut, wie nie ein Mönch im Chor
gesungen hat zuvor." –
Des wahren Meisters Weisen
soll man verständig preisen,
dem Schelm die Türe weisen –
hier bricht mein Singen ab.


(Übertragung: Hans Hegner)


08 Halmorakel

 
INTERPRETEN: ANNO DOMINI

In einem zwîvellîchen wân
was ich gesezzen und gedâhte,
ich wolte von ir dienste gân,
wan daz ein trôst mich wider brâhte.
Trôst mag ez rehte niht geheizen, ôwê des!
ez ist vil kûme ein kleinez troestelîn,
sô kleine, swenne ichz iu gesage, ir spottet mîn.
doch fröut sich lützel ieman, er enwizze wes.

Mich hât ein halm gemachet frô:
er giht, ich sül genâde vinden.
Ich maz daz selbe kleine strô,
als ich hie vor gesach von kinden.
Nû hoeret unde merket, ob siz denne tuo:
"si tuot, si entuot, si tuot, si entuot, si tuot!" –
swie dicke ich alsô maz, so was daz ende ie guot.
daz troestet mich: dâ hoeret ouch geloube zuo.

 

In zweifelnden Gedanken
saß ich da und überlegte:
Ich wollte schon aus ihrem Dienste scheiden,
aber ein Trost hielt mich zurück.
Trost mag er eigentlich nicht wirklich heißen, ach –
kaum mehr als nur ein winzig kleines Tröstelein,
so klein, dass, wenn ich es euch sage, ihr darüber lacht. –
Doch freut sich niemand gänzlich ohne Grund.

Mich hat ein Strohhalm froh gemacht,
er sagt, dass ich Erhörung finde.
Ich maß den Halm auf solche Art,
wie ich's bei Kindern hab gesehen.
Nun hört und passt gut auf, ob sie's denn tut:
"Sie tut, sie tut es nicht, sie tut, sie tut es nicht, sie tut!" – 
Wie oft ich es auf diese Weise maß, so war das Ende immer gut.
Das tröstet mich – doch Glaube gehört auch dazu.


(Übertragung: Hans Hegner)




09 Als diu sunne schienent
(aus dem Leich: Got, dîner Trinitâte)

 
INTERPRETEN: VIOLETTA

als diu sunne schînet
durch ganz gewürhtez glas,
alsô gebar diu reine Krist,
diu magt und muoter was.

 

Wie die Sonne scheint 
durch unversehrtes Glas,
so gebar die Reine Christ,
die Jungfrau und Mutter war.


(Übertragung: Hans Hegner)




10 Unter der Linde

 
INTERPRETEN: MUSIKTHEATER DINGO

Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ muget ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
Vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.

Ich kam gegangen
zuo der ouwe,
dô was mîn friedel komen ê.
Dâ wart ich enpfangen
– hêre frouwe! – ,
daz ich bin saelic iemer mê.
Kust er mich? – wol tûsentstunt!
tandaradei,
seht, wie rôt mir ist der munt!

Dô het er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat.
Des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an daz selbe pfat.
Bî den rôsen er wol mac,
tandaradei,
merken wâ mirz houbet lac.

Daz er bî mir laege,
wessez iemen
– nu enwelle got! – sô schamt ich mich.
Wes er mit mir pflaege,
niemer niemen
bevinde daz, wan er und ich –
und ein kleinez vogellîn,
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.

 

Unter der Linde
an der Heide,
wo unser beider Bett war,
da könnt ihr finden,
schön anzusehen,
gepflückte Blumen und Gras.
Vor dem Wald in einem Tal,
tandaradei,
schön sang die Nachtigal.

Ich kam gegangen
zu jener Wiese,
mein Liebster war schon vor mir da.
Dort wurde ich empfangen –
Heilige Jungfrau! –,
dass ich für immer glücklich bin.
Küsste er mich? – Wohl tausendmal!
Tandaradei,
seht, wie rot mein Mund ist!

Da hat er gemacht
ganz liebevoll
ein Bett aus lauter Blumen.
Darüber wird noch lachen
tief im Herzen,
wer daran vorübergeht.
An den Rosen kann er noch,
tandaradei,
sehen, wo mein Kopf lag.

Dass er bei mir schlief,
wüsste es jemand –
verhüt' es Gott! – so schämte ich mich.
Was wir miteinander taten,
soll niemals jemand
wissen, außer er und ich
und ein kleiner Vogel,
tandaradei –
aber der verrät ja nichts.


(Übertragung: Hans Hegner)

Neuhochdeutsch gesungene Version
vom Musiktheater Dingo

(Nachdichtung: Lothar Jahn):

Unter der Linde 
An der Heide, 
Wo unser beider Bette war, 
Da werdet ihr finden, 
Schön wie Seide, 
Duftende Blumen wunderbar. 
Vor dem Walde in einem Tal, 
Tandaradei! 
Herrlich sang die Nachtigall. 

Ich kam gegangen 
Zu der Aue, 
Da stand mein Liebster längst bereit. 
Da wurd' ich empfangen, 
Edle Fraue, 
Dass ich bin selig alle Zeit. 
Küsst er mich? Wohl tausend Stund, 
Tandaradei! 
Seht, wie rot mir ist der Mund. 

"Was hat er gemachet?" 
Fragt ihr mich. 
Ein Bett aus Blumen für uns zwei! 
Da wird noch gelachet 
Inniglich, 
Kommt jemand an dem Ort vorbei. 
Bei den Rosen er wohl mag 
Tandaradei! 
Sehen, wo mein Kopf einst lag. 

Dass er bei mir lag, 
Wüsste es jemand - 
Das verhüte Gott -, so schämt' ich mich. 
Was er mit mir wagte, 
Niemals niemand 
Sollte davon wissen als er und ich 
Und ein kleines Vögelein. 
Tandaradei!
Das wird wohl schön stille sein.


11 Diu werlt was gelf, rôt unde blâ

 
INTERPRET: KNUD SECKEL

Diu werlt was gelf, rôt unde blâ,
grüen in dem walde und anderswâ:
Kleine vogele sungen dâ –
nû schriet aber diu nebelkrâ.
Pfligt si iht ander varwe? Jâ!
sist worden bleich und übergrâ.
des rimpfet sich vil manic brâ.

Ich saz ûf eime grüenen lê,
da ensprungen bluomen unde klê
zwischen mir und eime sê –
der ougenweide ist dâ niht mê.
Dâ wir schapel brâchen ê,
dâ lît nû rîfe und ouch der snê:
daz tuot den vogellînen wê.

Die tôren sprechent: "snîâ, snî!"
die armen liute: "owê, owî!" –
Des bin ich swaere alsam ein blî:
der wintersorge hân ich drî.
Swaz der und der andern sî,
der wurde ich alse schiere frî,
waer uns der sumer nâhe bî!

Ê danne ich lange lebt alsô,
den krebz wolt ich ê ezzen rô.
Sumer, mache uns aber frô!
dû zierest anger unde lô.
Mit den bluomen spilt ich dô,
mîn herze swebt in sunnen hô –
daz jaget der winter in ein strô.

Ich bin verlegen als ein sû,
mîn sleht hâr ist mir worden rû.
Süezer sumer, wâ bist dû?
jâ saehe ich gerner veltgebû!
Ê deich lange in selher drû
beklemmet waere, als ich bin nû,
ich wurde ê münch ze Toberlû.

 

Die Welt war gelb und rot und blau,
auch grün im Wald und in der Au:
Wo kleine Vögel sangen süß und schlau,
schreit nun die Nebelkrähe rauh.
Hat auch die Farbe sich gewandelt? Schau:
Sie'st bleich geworden, grau in grau –
da kraust sich manche Stirn und manche Brau.

Ich saß auf einer grünen Höh,
da sprossen Blumen und der Klee
zwischen mir und einem See –
doch diese Augenweide ist passé.
Dort, wo wir Kränze flochten eh,
liegt jetzt der Reif und kalter Schnee:
das tut den kleinen Vöglein weh.

Die Toren rufen: "Schnei doch, schnei!",
die armen Leut: "Auweh, auwei!" –
Ich bin davon so schwer wie Blei:
Der Wintersorgen hab ich drei,
doch was mit diesen und den andren sei,
würd' ich von ihnen wieder frei,
käm' nur der Sommer bald herbei!

Bevor ich länger lebte so,
wollt' ich die Krebse essen roh.
Sommer, mach uns wieder froh!
Du schmückst uns Hain und Wiese, wo
ich mit den Blumen spielte so,
als ob mein Herz zur Sonn entfloh. –
Der Winter aber scheucht mich in das Stroh!

Ich bin vom Liegen träg' wie eine Sau,
mein glattes Haar struppig und rauh. –
Süßer Sommer, wo bist du jetzt genau?
Wie gern säh' ich den Ackerbau!
Eh ich noch länger im Verhau
gefangen wäre, klamm und flau,
ich würde lieber Mönch in Doberlug – ganz ohne Frau!


(Übertragung: Hans Hegner)




12 Traumglück

 
INTERPRETEN: POETA MAGICA

Dô der sumer komen was,
und die bluomen dur daz gras
wünneclîchen sprungen,
aldâ die vogele sungen,
dô kom ich gegangen
an einen anger langen,
dâ ein lûter brunne entspranc.
vor dem walde was sîn ganc,
dâ diu nahtegale sanc.

Bî dem brunnen stuont ein boum,
dâ gesach ich einen troum –
ich was von der sunnen
entwichen zuo dem brunnen,
daz diu linde maere
mir küelen schaten baere.
Bî dem brunnen ich gesaz,
mîner sorgen ich vergaz,
schier entslief ich umbe daz.

Dô bedûhte mich zehant,
wie mir dienten elliu lant,
wie mîn sêle waere
ze himel âne swaere,
und der lîp hie solte
gebâren swie er wolte.
Dâne was mir niht ze wê –
got gewaldes, swiez ergê,
schoener troum enwart nie mê!

Gerne slief ich iemer dâ,
wan ein unsaeligiu krâ
diu begonde schrîen.
daz alle krâ gedîen,
als ich in des günne!
si nam mir michel wünne.
Von ir schrîen ich erschrac –
wan daz dâ niht steines lac,
sô waer ez ir suonestac.

Ein vil wunderaltez wîp
diu getrôste mir den lîp:
die begond ich eiden,
nû hât sie mir bescheiden
waz der troum bediute.
daz merket, lieben liute:
Zwên und einer daz sint drî –
dannoch seit si mir dâ bî,
daz mîn dûme ein vinger sî.

 

Als der Sommer wiederkam,
und die Blumen aus dem Gras
schön und lieblich sprossen,
wo all die Vögel sangen,
da kam ich gegangen
zu einer Wiese groß und weit,
aus der ein klarer Quell entsprang.
Am Waldesrand floss er dahin,
dort sang die Nachtigall.

Bei der Quelle stand ein Baum,
da beglückte mich ein Traum –
ich war aus der Sonne
zum Wasser hin entwichen,
wo die willkommne Linde
mir kühlen Schatten gab.
Wie ich an der Quelle saß,
meine Sorgen ich vergaß,
und schnell schlief ich darüber ein.

Da erschien es mir sogleich,
dass alle Welt mir war zu Diensten,
und meine Seele schwebte
im Himmel, sorgenfrei.
Mein Körper aber mochte
hier leben, wie er wollte –
wie gut ging's mir dabei!
Gott füge, wie es kommen soll,
doch einen schönren Traum träumte ich noch nie!

Wie gerne hätt' ich weiter dort geschlafen,
als eine unglückselge Krähe
fing lauthals an zu schreien. –
Solln alle Krähen doch gedeihen,
wie ich es ihnen gönne!
Sie nahm mir so viel Glück.
Von ihrem Krächzen wacht' ich auf –
hätte dort ein Stein gelegen,
es wär' für sie der Jüngste Tag gewesen!

Eine ganz uralte Frau
sprach mir aber Trost.
Sie schwor ihren Eid darauf
und erklärte mir,
was dieser Traum bedeute.
Merkt auf, ihr lieben Leute:
Zwei und einer, das sind drei –
und dann verriet sie mir dabei,
dass mein Daumen auch ein Finger sei.


(Übertragung: Hans Hegner)




13 Hêrre Bâbest

 
INTERPRET: FRANK WUNDERLICH

Hêr bâbest, ich mac wol genesen,
wan ich wil iu gehôrsam wesen.
wir hôrten iuch der kristenheit gebieten,
wes wir dem keiser solten pflegen,
dô ir im gâbet gotes segen:
daz wir in hiezen hêrre und vor im knieten.
Ouch sult ir niht vergezzen,
ir sprâchet: "swer dich segene, sî
gesegent; swer dir fluoche, der si verfluochet
mit fluoche volmezzen."
durch got bedenket iuch dâ bî,
ob ir der pfaffen êre iht geruochet!

Got gît ze künege, swen er wil –
dar umbe wundert mich niht vil.
uns leien wundert umbe der pfaffen lêre:
Si lêrten uns bî kurzen tagen,
daz wellents uns nû widersagen.
nû tuonz dur got und dur ir selber êre
und sagen uns bî ir triuwen,
an welher rede wir sîn betrogen;
volrecken uns die einen wol von grunde,
die alten ode die niuwen.
uns dunket, einez sî gelogen –
zwô zungen stânt unebne in einem munde.

Dô gotes sun hie in erde gie,
do versuohten in die juden ie,
sam tâtens eines tages mit dirre frâge:
Si frâgeten, obe ir frîez leben
dem rîche iht zinses solte geben.
dô brach er in die huote und al ir lâge.
Er iesch ein münizîsen,
er sprach: "wes bilde ist hie ergraben?" –
"des keisers" sprâchen dô die merkaere.
Dô riet er den unwîsen,
daz si den keiser liezen haben
sîn küneges reht, und got, swaz gotes waere.

 

Herr Papst, ich kann das ewige Leben zweifellos erlangen,
denn ich werde euch gehorsam sein.
Wir alle hörten euch der Christenheit gebieten,
was wir dem Kaiser schuldig wären,
als ihr ihm Gottes Segen gabt:
dass wir ihn unsren Herren nennen und vor ihm knien sollten.
Auch dürft ihr nicht vergessen, dass ihr spracht:
"Wer dich segnet, sei gesegnet,
wer dir flucht, der sei verflucht
mit angemess'nem Fluche."
Um Gottes willen denkt darüber nach,
wenn der Kirche Ansehen euch am Herzen liegt!

Gott macht zum König, wen er will –
das wundert mich auch nicht.
Uns Laien aber wundert, was die Geistlichen befehlen:
Was sie uns kürzlich lehrten,
das widerrufen sie uns jetzt.
Um Gottes Ehre und des eignen Ansehns willen
sollen sie uns ehrlich sagen,
mit welchen Worten wir betrogen worden sind
und sollen uns von Grunde auf erklären
die alte oder neue Lehre.
Denn eins von beiden, scheint uns, ist gelogen –
zwei Zungen passen nicht in einen Mund.

Als Gottes Sohn auf Erden wandelte,
versuchten ihn die Juden immerfort –
so eines Tages auch mit dieser Frage:
Sie fragten ihn, ob sie in ihrem freien Stand
dem Kaiser Steuern zahlen sollten.
Da brach er in den gut verborgnen Hinterhalt:
er fordert', einen Münzstempel zu sehen,
und sprach: "Wessen Bildnis ist hier eingegraben?"
"Des Kaisers", antworteten die Besserwisser. –
Er riet den Toren daraufhin,
dass sie dem Kaiser ließen, was in seinem Rechte steh'
und Gott, was Gottes sei.


(Übertragung: Hans Hegner)




14 Ich saz ûf einem steine

 
INTERPRET: JOCHEN FAULHAMMER

Ich saz ûf einem steine
dô dahte ich bein mit beine.
dar ûf satzt ich mîn ellenbogen;
ich hete in mîne hant gesmogen
daz kinne und ein mîn wange.
dô dâhte ich mir vil ange,
wie man zer welte solte leben.
deheinen rât kond ich gegeben,
wie man driu dinc erwurbe,
der keines niht verdurbe:
diu zwei sint êre und varnde guot,
daz dicke ein ander schaden tuot.
daz dritte ist gotes hulde,
der zweier übergulde.
die wolde ich gerne in einen schrîn:
jâ leider desn mac niht gesîn,
daz guot und weltlîch êre
und gotes hulde mêre
zesamene in ein herze komen.
stîge unde wege sint in benomen,
untriuwe ist in der sâze,
gewalt vert ûf der strâze,
fride unde reht sint sêre wunt –
diu driu enhabent geleites niht,
diu zwei enwerden ê gesunt.

 

Ich saß auf einem Felsenstein
und schlug ein Bein über das andre Bein.
Drauf stützte ich den Ellenbogen,
in meine Hand hatt' ich geschmiegt
mein Kinn und meine Wange.
So dachte ich darüber nach,
wie man auf dieser Welt wohl leben sollte –
doch keine Antwort wusste ich darauf,
wie man drei Dinge so erwürbe und beisammenhielt',
dass keines wiederum verloren ginge:
Die ersten zwei sind Ansehen und Besitz,
welche sich oft schon gegenseitig stören,
das dritte ist Gottes Gnade,
von noch viel höherem Wert.
Die wünschte ich, in ein Gefäß zu tun. –
Doch leider, nein, es kann nicht sein,
Besitz und Ansehen vor der Welt
und Gottes Gnade noch dazu,
dass sie in einem Herzen zueinander kommen.
Weg und Steg ist ihnen genommen,
Verrat lauert im Hinterhalt,
Gewalt zieht auf der Straße,
Frieden und Gerechtigkeit sind wund bis auf den Tod –
eh diese beiden nicht wieder gesunden,
haben die drei Dinge keinen Schutz..


(Übertragung: Hans Hegner)



15 Hêr Volcnant

 
INTERPRET: MARCUS VAN LANGEN

Hêr Volcnant habt irs êre,
daz ir den meistern tretten welt
ir meisterlîchen sprüche?
Lâtz iu geschehen niht mêre,
sît daz manz iu zunwitzen zelt.
wan ob hêr Walther krüche,
man het in doch vil baz danne iu.
er ist daz korn, ir sît diu spriu,
singet ir einz, er singet driu,
ir sît gelîch als ars und mâne.
Her Walther singet, swaz er wil,
des kurzen und des langen vil,
sus mêret er der werlt ir spil,
so jaget ir als ein valscher hunt nâch wâne.

Waz êren hât frô Bône,
daz man von ir singen sol,
si rehtiu vastenkiuwe!
Sist vor und nâch der nône
fûl und ist der wibel vol,
wan êrst in der niuwe.
Ein halm ist kreftec unde guot:
waz er uns allen liebes tuot,
er fröit vil manigem sînen muot,
wie danne umb sînen sâmen?
Von grase wirdet halm ze strô,
er machet manic herze frô,
er ist guot nider unde hô.
frouwe Bône, set liberâ nos â mâlô,
âmen.

 

Herr Volknand, habt ihr Ansehen genug,
dass ihr euch zu den Meistern stellt
und ihrer meisterhaften Kunst?
Das Wenigste, was euch geschehen mag,
ist, dass man es als Dummheit durchgehn lässt!
Selbst wenn Herr Walther kröche,
man nähme ihn doch besser wahr als euch.
Er ist das Korn, ihr seid die Spreu,
singt ihr ein Lied, so singt er drei,
ihr seid einander gleich wie Arsch und Mond.
Herr Walther singt, was er will,
sei es in kurzen oder langen Weisen,
und so bereichert er das Spiel der Welt –
ihr aber jagt als falscher Hund dem Wahne nach!

Welches Ansehn hat Frau Bohne,
dass man von ihr singen sollte,
sie, die reinste Fastenspeise!
Bereits vor Himmelfahrt und erst danach
ist sie schon faul und voller Maden,
kaum dass sie gerade reif. –
Ein Halm von Getreide ist kräftig und gut:
Was er uns allen Vortreffliches tut,
erfreut so manchem Geist und Mut –
was sag ich erst von seinem Samen?
Vom Grase wird der Halm zu Stroh,
so macht er manches Herze froh,
perfekt am Grund und in der Höhe ebenso. –
Frau Bohne… "sondern erlöse uns von dem Bösen,
amen."


(Übertragung: Hans Hegner)




16 Vil wol gelopter got

 
INTERPRET: KNUD SECKEL

Vil wol gelopter got, wie selten ich dich prîse,
sît ich von dir beide wort hân unde wîse –
wie getar ich sô gefreveln under dîme rîse?
Ichn tuon diu rehten werc, ichn hân die wâren minne
ze mînen ebenkristen, hêrre vater, noch ze dir:
sô holt enwart ich ir dekeinem nie sô mir.
Krist, vater unde sun, dîn geist berihte mîne sinne!
Wie solt ich den geminnen, der mir übele tuot?
mir muoz der iemer lieber sîn, der mir ist guot.
Vergib mir anders mîne schulde, ich wil noch haben den muot.

Nû weiz got wol, mîn lop waer iemer hovestaete,
dâ man eteswenne hovelîchen taete
mit gebaerde, mit gewisser rede, mit geraete.
Mir grûset, sô mich lachent an die lechelaere,
den diu zunge honget und daz herze gallen hât.
friundes lachen sol sîn âne missetât,
lûter als der âbentrôt, der kündet süeziu maere.
Nû tuo mir lachelîche, od lache aber anderswâ:
swes munt mich triegen wil, der habe sîn lachen dâ,
von dem naem ich ein wârez nein für zwei gelogeniu jâ.

Von Rôme vogt, von Pülle künec, lât iuch erbarmen,
daz man mich bî richer kunst lât alsus armen!
gerne wolde ich, möchte ez sîn, bî eigenem fiure erwarmen.
Zâhiu, wiech danne sunge von den vogellînen,
von der heide und von den bluomen, als ich wîlent sanc!
swelch schoene wîp mir danne gaebe ir habedanc,
der liez ich liljen unde rôsen ûz ir wengel schînen.
Sus kume ich spâte und rîte fruo: " gast, wê dir, wê!"
sô mac der wirt baz singen von dem grüenen klê –
die nôt bedenket, milter künec, daz iuwer nôt zergê!

Ich hân mîn lêhen, al die werlt, ich hân mîn lêhen!
nû enfürhte ich niht den hornunc an die zêhen
und wil alle boese hêrren dester minre flêhen.
Der edel künec, der milte künec hât mich berâten,
daz ich den sumer luft und in dem winter hitze hân.
mîn nâhgebûren dunke ich verre baz getân:
si sehent mich niht mêr an in butzen wîs, als sî wîlent tâten.
Ich bin ze lange arm gewesen ân mînen danc,
ich was sô voller scheltens, daz mîn âten stanc:
daz hât der künec gemachet reine, und dar zuo mînen sanc.

 

Hoch und reich gepriesener Gott, wie selten singe ich dein Lob,
der du mir doch die Worte gabst und die Musik –
wie wage ich nur, so zu freveln unter deinem Stabe?
Ich tue nicht die rechten Werke und übe nicht die wahre Liebe
weder zu meinen Nächsten, Herr und Vater, noch zu dir –
nie war ich einem anderen so zugetan wie mir.
Christ, Vater, Sohn: dein Geist führe mein Herz den rechten Weg!
Wie aber soll ich den nur lieben, der mir Böses tut?
Mir wird doch immer lieber sein, der mir ist gut.
Vergib mir meine Schuld in andren Dingen, denn diese Haltung gebe ich nicht auf.

Gott weiß, mein Lob stünd' immer treu zu einem Hof,
an dem man wenigstens sich manchmal hofgemäß verhielte,
mit Anstand, Zuverlässigkeit im Wort, mit Rat und Hilfe.
Mir graust es, wenn die Heuchler mir ihr Lächeln schenken,
deren Zunge süß wie Honig und das Herz bitter wie Galle ist.
Das Lachen eines Freundes soll ohne falsche Absicht sein,
klar wie das Abendrot, das gutes Wetter kündet.
Handle an mir wie du lächelst – oder lächle anderswo!
Wessen Mund mich täuschen will, behalte sein Lächeln für sich,
von ihm wär' mir lieber ein ehrliches Nein als zweimal gelogenes Ja.

Schutzherr von Rom und König von Apulien, lasst euch erbarmen,
dass man mich bei reicher Kunst in solcher Armut lässt!
Gern wollt' ich, wenn es möglich wär', mich am eignen Feuer wärmen.
Juchhei, wie würde ich dann von den Vöglein singen,
von der Heide und von den Blumen, so wie ich früher sang!
Und wenn mir eine schöne Frau dafür gewährte ihren Dank,
würd' Lilien und Rosen auf ihren Wangen ich zum Leuchten bringen.
So aber komm ich spät und reite früh: "Gast, weh dir, weh!"
Der Hausherr mag wohl besser singen von dem grünen Klee:
die Not bedenkt, freigiebiger König, auf dass auch eure Not vergeh'!

Ich hab mein Lehen! – Hört es, alle Welt, ich hab mein Lehen!
Nun fürcht ich nicht den kalten Februar an meinen Zehen
und brauch die geizigen Herren nicht mehr anzuflehen.
Der edle und großmütige König hat mich so gut versorgt,
dass ich im Sommer frische Luft und im Winter Wärme habe.
Auch komm ich meinen Nachbarn jetzt viel vornehmer daher,
sie sehn in mir nicht mehr das Hausgespenst, wie sie es früher taten.
Ich bin zu lange arm gewesen ohne meinen Wunsch,
ich war so voller Bitterkeit, dass mir der Atem stank –
das alles hat der König wieder rein gemacht, und auch meinen Gesang.



(Übertragung: Hans Hegner)




17 Diu menscheit muoz verderben

 
INTERPRETEN: IOCULATORES

Diu menscheit muoz verderben,
suln wir den lôn erwerben.
got wolde dur uns sterben,
sîn drô ist ûf gespart.
Sîn kriuze vil gehêret
hât maneges heil gemêret.
swer sich von zwîvel kêret,
der hât den geist bewart.
Sündic lîp vergezzen,
dir sint diu jâr gemezzen.
der tôt hât uns besezzen,
die veigen âne wer.
Nû hellent hin gelîche,
dâ wir daz himelrîche
erwerben sicherlîche
bî dulteclîcher zer!
Got will mit heldes handen
dort rechen sînen anden,
sich schar von manegen landen
des heilegeistes her.

Got, dîne helfe uns sende:
mit dîner zesewen hende
bewar uns an dem ende,
sô uns der geist verlât,
vor helleheizen wallen,
daz wir dar in niht vallen.
ez ist wol kunt uns allen,
wie jâmerlîch ez stât,
daz hêre lant vil reine,
gar helfelôs und eine.
Jerusalêm, nû weine,
wie dîn vergezzen ist!
Der heiden überhêre
hât dich verschelket sêre.
dur dîner namen êre
lâ dich erbarmen, Krist,
mit welher nôt si ringen,
die dort den borgen dingen.
daz si uns alsô betwingen,
daz wende in kurzer frist!

 

Das Menschenleben muss vergehn,
soll'n wir den ew'gen Lohn erwerben.
Gott wollt' um unsretwillen sterben,
der Jüngste Tag steht erst bevor.
Sein Kreuz, so hoch gepriesen,
hat vielen Seelenheil beschert.
Wer nur den Zweifel von sich kehrt,
hat seine Seel' bewahrt.
Sünder, gedankenlos,
die Jahr' sind dir gezählt.
Der Tod hat uns umstellt,
die ihm Verfallenen sind ohne Wehr. –
Nun eilt dorthin sogleich,
wo wir das Himmelreich
hingebungsvoll
und ganz gewiss erringen!
Gott will durch Ritters Hand
dort rächen seine Schmach,
es sammle sich aus vielen Ländern
des Heil'gen Geistes Heer.

Gott, gib uns deine Hilfe:
Mit deiner rechten Hand
bewahre uns am Ende,
wenn uns die Seel' verlässt,
davor, dass wir nicht stürzen
in heiße Höllenglut. –
Es ist uns allen wohlbekannt,
wie jammervoll es steht
um das reine Heilige Land,
so hilflos und allein.
Weine, Jerusalem,
wie hat man dich vergessen!
Der Heiden Übermacht
hat dich zum Knecht erniedrigt.
Um der Dreifaltigkeit Ehre
lass dich erbarmen, Christ,
über die Not, mit der sie ringen,
die dort auf Beistand hoffen –
dass wir auf solche Art bezwungen werden,
das wende in kurzer Frist!


(Übertragung: Hans Hegner)




18 Palästina-Lied

 
INTERPRETEN: DIE HIMMLISCHEN HEERSCHAREN

Nu alrêrst lebe ich mir werde,
sît mîn sündic ouge siht
daz reine lant und ouch die erde,
der man sô vil êren giht.
mirst geschehen, des ich ie bat:
ích bin komen an die stat,
dâ got menischlîchen trat.

 Schoeniu lant, rîch unde hêre,
 swaz ich der noch hân gesehen,
 sô bist dûs ir aller êre.
 waz ist wunders hie geschehen!
 daz ein magt ein kint gebar,
 hêre über aller engel schar,
 wáz daz niht ein wunder gar?

Mê dann hundert tûsent wunder
hie in disem lande sint,
dâ von ich niht mê besunder
kan gesagen als ein kint,
wan ein teil von unser ê.
swem des niht genuoge, der gê
zuo den juden, die sagent im mê.

Hie liez er sich reine toufen,
daz der mensche reine sî.
dô liez er sich hie verkoufen,
daz wir eigen wurden frî.
anders waeren wir verlorn.
wol dir, sper, kriuze unde dorn!
wê dir, heiden, daz ist dir zorn!
                "wê dir, heiden, daz ist dir zorn!"

In daz lant hât er gesprochen
einen angeslîchen tac,
dâ der weise wirt gerochen
und diu witwe klagen mac
und der arme den gewalt,
den man hât mit in gestalt.
wol im dort, der hie vergalt!

                    "O Maria Flos Virginum"
Vrowe min, durch iuwer güete
nu vernemet mine clage,
                    "Velut rosa vel lilium"
daz ir durch iuwer hochgemüete
nicht erzuernet, waz ich sage.
                      "Funde preces ad filium"
Vil lihte daz ein tumber man
misseredet, als er wol kann.
                      "Pro salute fidelium"
daran solt ir iuch nicht keren an .

Kristen, juden und die heiden
jehent, daz díz ir erbe sî.
got müeze éz ze rehte scheiden
durch die sîne namen drî.
al diu werlt, diu strîtet her:
wir sîn an der rehten ger.
reht ist, daz er uns gewer!
                                 "Amen"



Nun erst hat mein Leben Sinn,
da mein sündiges Auge sieht
das Heilige Land und seine Erde,    
die man so sehr ehrt und preist.
Mir geschah, worum ich bat:
Ich bin gekommen an die Stätte,
wo Gott Mensch geworden ist.

Von allen Ländern, reich und prächtig,
den schönsten, die ich je gesehen,
trägst du den allerhöchsten Ruhm.
Was für ein Wunder ist hier geschehen!
Dass eine Jungfrau ein Kind gebar,
Herr über aller Engel Schar –
war das nicht das reinste Wunder?

Mehr als hunderttausend Wunder
hier in diesem Lande sind.
Genauer kann ich's nicht beschreiben
und berichten als ein Kind,
da es ein Teil von unsrem Glauben ist. –
Und wem das nicht genügt,
soll zu den Juden gehn, dass sie ihm mehr erzählen.

Hier ließ er sich in seiner Reinheit taufen,
auf dass die Menschheit rein von Sünden sei.
Ließ sich verraten und gefangen nehmen,
dass wir Gefangenen würden frei.
Andernfalls wärn wir verlorn –
wohl dir, Speer, Kreuz, Dornenkrone!
Weh euch, Heidenschaft und eurem Zorn!

"Weh euch, Heidenschaft, und eurem Zorn!"

Diesem Land hat er verkündet
einen Tag des Weltgerichts,
an dem der Waise wird gerächt,
und die Witwe klagen darf
wie der Arme gegen die Gewalt,
die man ihnen angetan. –
Wohl dem, der hier im Leben seine Schuld beglich!

"O Maria, Blume der Jungfrauen"
Herrin, in eurer Vollkommenheit
hört meine Klage,

"gleichwie die Rose oder die Lilie,"
    auf dass in eurem Edelmut
euch nicht erzürnet, was ich sage.
"leite das Gebet an deinen Sohn"
    Ein Unerfahrener setzt leichter
seine Worte falsch, als er es gut versteht,

"zum Wohle der Gläubigen!"
    daran sollt ihr euch nicht stören!

Christen, Juden und Muslime
behaupten, dass dies Land ihr Erbe sei.
Gott soll es nach dem Recht entscheiden
im Namen der Dreieinigkeit.
Die ganze Welt besteht darauf,
doch unser Anspruch ist gerecht,
gerecht, dass er ihn uns erfüllt. 
"Amen"


(Übertragung: Hans Hegner)




19 Ouwe

 
INTERPRETEN: OUGENWEIDE

Ouwe war sint verswunden
alliu miniu jar
Ist mir min leben getroumet
oder ist es war
Daz ich ie wande daz iht
waere, was daz iht
Dar nach han ich geslafen
und enweiz es niht

Nu bin ich erwachet und
ist mir unbekant
Daz mir hie vor was kündic
als min ander hant
Liut unde lant darinne ich
von kinde bin erzogen
Die sint mir vremde worden
rehte als ez si gelogen

Die mine gespilen waren
die sint traege unt alt
Bereitet ist das velt
verhouwen ist der walt
Wan daz daz wazzer vliuzet
als ez vilent vloz
Vür war ich wande
min ungelücke wurde groz

Iemer mere ouwe
iemer mêre ouwê
iemer mêre ouwê
iemer mêre ouwê..


O weh, wohin sind sie entschwunden,
alle meine Jahre!
Hab ich mein Leben nur geträumt
oder ist es wahr –
von dem ich glaubte, dass es wäre,
war das überhaupt?
Hab ich am Ende nur geschlafen
und weiß es nicht?

Nun also bin ich aufgewacht,
und mir ist unbekannt,
was mir früher war vertraut
wie meine linke Hand.
Land und Leute, wo ich
von Kind an bin erzogen –
alles ist mir fremd geworden,
gerade wie gelogen.

Die meine Gespielen waren,
sind nun träge, alt.
Beackert ist die grüne Flur
und abgeholzt der Wald.
Ja, wenn das Wasser nicht mehr flösse,
wie es damals floss,
fürwahr, ich denke mir,
mein Unglück wäre groß

Immerfort o weh!
Immerfort o weh!
Immerfort o weh!
Immerfort o weh...


(Übertragung: Hans Hegner)



Der Übersetzer

Hans HegnerHans Hegner aus Berlin singt mittelhochdeutsche Lieder, seitdem er 1977 ein Konzert der Gruppe Ougenweide erlebt hat - öffentlich allerdings erst sechs Jahre später. Er tritt mit Solo- Programmen, Schulvorträgen zur Geschichte des Minnesangs, sowie den Ensembles  'Fundevogel', 'Vinkoop' und 'Collage' auf. Er ist regelmäßiger Teilnehmer bei der Veranstaltung "geteiltez spil" auf der Wartburg und beim Minnesänger-Wettstreit von www.minnesang.com und Karfunkel.

Seine Homepage: www.hanshegner.de
Kontakt zu Hans Hegner per e-Mail hier.