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MECHTHILDS MINNE UND MYSTIK
Frank Wunderlich über sein Notenbuch zu Mechthild von Magdeburg

Frank WunderlichIm Verlag der Spielleute hat Frank Wunderlich 2010 erneut ein Notenbuch veröffentlicht. Es trägt den Titel "O edeler arn - Gesänge der Minnesängerin Gottes" und enthält Eigenvertonungen der Texte der Begine Mechthild von Magdeburg aus dem 13. Jahrhundert. Aus Anlass der Veröffentlichung sprachen wir mit dem Autor.

Du bezeichnest Mechthild von Magdeburg als "Minnesängerin Gottes". Von welcher Tatsache leitest du diese Bezeichnung ab?
Mechthild, eine Minnesängerin Gottes? Das klingt nach einer gewagten These.  Bereits vor über 10 Jahren bezeichnete die Theologin Hildegund Keul in einem Beitrag der Zeitschrift  „Lebendiges Zeugnis“ (55. Jg. Heft 4 (2000), 259-270) Mechthild als Troubadoura Gottes.  Mechthild bedient sich in ihren Gesängen der Formen volkssprachlicher Minnelyrik, die im 13. Jh. in höchster Blüte stand. Minnelyrik wurde gerade in besonderem Maße in jenen sozialen Kreisen gepflegt, denen Mechthild vermutlich selbst entstammte – im Rahmen der ritterlich-höfischen Kultur.  Eine Tradition von Minnesängerinnen ist bisher im deutschsprachigen Raum unbekannt. Daher vergleicht  Hildegund Keul Mechthilds Dichtungen mit Werken romanischer Lyrikerinnen.  Zwar gibt es in der Forschung Diskussionen, ob es nicht doch Minnesängerinnen gegeben hätte. Frauen, die gedichtet und ‚komponiert’ haben, sind allerdings bezeugt. Mechthild könnte man vielleicht als mittleres Glied des Dreigestirns Hildegard von Bingen (12. Jh.) und Birgitta von Schweden (14. Jh.) bezeichnen.  Sie unterscheidet sich von beiden, insofern sie nicht in lateinischer Sprache dichtete, sondern in ihrer Muttersprache. Das berechtigt die These, dass sie nicht nur als „Troubadoura Gottes“, sondern auch als „Minnesängerin Gottes“ bezeichnet werden könnte.
 
Deine Vertonungen der Mechthild-Texte erinnern ein wenig an Hildegard von Bingen. Eine bewusste Anlehnung?
Theologisch betrachtet führte Mechthild fort, was Hilde­gard von Bingen erfahren und gedacht hatte. Auch sie hat sich früh für ein geistli­ches Leben entschieden, erfuhr mystische Einsichten, die sie zunächst für sich behielt. In der Mitte ihres Lebens (um 1250) wurde sie von ihrem geistlichen Vater, dem Dominikanerpater Heinrich von Halle, ermutigt,  diese aufzuzeichnen.  Und so wird sie das Geschaute als "Das fließende Licht der Gottheit“ beschreiben, ähnlich wie Hildegard, als ‚prophetissa’, dies schon 100 Jahre zuvor beschrieb. Mechthild knüpft da an und wird somit Hildegards posthume Schwester.

Nach welchen Kriterien hast du deine Melodien entwickelt?
Der Inhalt des Textes war für mich jeweils der Ausgangspunkt nach einem geeigneten Modus zu suchen. Mit dem ersten Modus (dorisch) verbinde gerne den Charakter des Majestätischen, Erhabenen, Göttlichen. Der e-Modus (phrygisch) ist eher streng und klagend. Der f-Modus (lydisch) zeichnet sich durch seine Feierlichkeit aus usw. Die Melodien sollen jedenfalls dem Text dienen und  seinen Inhalten zum Ausdruck verhelfen.
 
Hast du überlieferte Melodien oder Formeln aus der musikalischen Tradition des Mittelalters eingearbeitet?
Der Setzkasten von Liedformeln der jeweiligen Modi ist sehr reichhaltig und aus diesem habe ich mich bedient, wie schon Hildegard es tat oder nachfolgende Generationen bis in unsere Zeit es tun.  Ich denke da zum Beispiel an unseren Mainzer Kirchenmusiker Heinrich Rohr, der den Versuch unternahm, einen deutschsprachigen Choral erneut zu etablieren, wie Jahrhunderte zuvor der Mönch von Salzburg.
Typische Melodieformeln oder größere Melismen dienen eines besonderen Ausdrucks. Gelegentlich haben sie symbolische oder tonmalerische Bedeutung. Manchmal heben sie besondere Worte hervor, z. B. durch die Wahl einer hohen oder tiefen Lage. Im zweiten Lied (O edeler arn) taucht das Nachtigallenmotiv auf und da konnte ich mir ein Melodiezitat nicht verkneifen.
 
Von dir liegen nun schon vier Liederbücher im Verlag der Spielleute vor: Von Obernburg, Der Brennenberger, das Schedelsche Liederbuch und nun Mechthild von Magdeburg. Gibt es so etwas wie einen roten Faden oder hast du die Auswahl intuitiv getroffen?
Einen roten Faden der Entwicklung kann ich erst rückblickend entdecken. Die Entscheidung, sich mit diesen vier Personen zu beschäftigen, geschah mehr zufällig – allerdings nicht willkürlich, denn am Beginn des jeweiligen Notenheftprojekts stand immer eine Art Initialzündung.
Beispielsweise entstand die Idee ein Liederbuch mit den Liedern des Brennenberger zu verfassen im Rahmen des Minnesängerwettstreits 2005 auf Burg Falkenstein in der Oberpfalz. Nur wenige Kilometer davon entfernt liegt die Burg Brennenberg. Bei einem Besuch dieser Burganlage, wenige Monate vor dem Wettstreit, wurde mir regelrecht diese Idee eingeflüstert. 
 
Wirst du den Mechthild-Liederzyklus auch live oder auf CD darbieten?
Natürlich sind einige Mechthild-Gesänge schon bei mir fest im Repertoire und ich trage sie bei entsprechenden Gelegenheiten vor. An eine eigene Mechthild-CD habe ich allerdings noch nicht gedacht, was ich aber auch als Möglichkeit nicht ausschließen möchte.  Bisher ist nur eine meiner Vertonungen auf CD veröffentlicht. Auf der CD „Spruchgesang und Sachsenspiegel“  befindet sich von Mechthild der Gesang „Von zwein ungelichen wegen“. Dieser Beitrag war einerseits ganz passend zur Thematik dieser CD, andererseits muss Mechthild in unmittelbarer Nähe der Burg Falkenstein aufgewachsen sein.
 
Ans Ende des Notenbuches hast du eine Mechthild-Vertonung von ganz anderem Charakter gesetzt - sie trägt den programmatischen Titel "Dy minne" und stammt von der Gruppe Ougenweide. Wie kam es dazu?
Ursache ist wiederum eine Initialzündung. Das Notenheft war bereits abgeschlossen, als ich beim letztjährigen Ougenweide-Tribut auf Burg Falkenstein im Ostharz 2010 mit dabei sein durfte. Dazu gehörte als Gemeinschaftsstück das Lied "Dy Minne" vom Ougenweide-Album "Herzsprung" (2010). Insgesamt hat mich das gesamte Ereignis so berührt, dieses Lied mit eingeschlossen, dass im Nachhinein mir die Idee kam, das Mechthild-Notenheft mit diesem Gesang abzurunden. Nach Gesprächen mit Olaf Casalich, Stefan Wulff und letztendlich Sabine Maria Reiss erhielt ich die Zustimmung, diesen Gesang noch mit in das Heft aufnehmen zu können.  Olaf Casalich zählt übrigens zu einer der ersten Personen, die von meinem Mechthildprojekt erfuhren. Er berichte mir schon einige Jahre zuvor im Rahmen eines Minnesängerwettstreits auf Burg Falkenstein, dass Ougenweide auch einen Mechthildtext vertont hätten und zwar auf einer alten traditionellen Melodie basierend.
 
Ougenweide verarbeiten ja eine traditionelle Melodie, die im Film "Die siebente Saite" erklingt. Weißt du Näheres dazu?
Den Film habe ich leider bisher noch nicht gesehen, kenne ihn also nur vom Hörensagen und er steht auf meiner langen Liste noch unerfüllter Wünsche. Statt dessen besorgte ich mir vor Jahren die Audio-CD mit der Musik Jordi Savalls zum Film. Ich hörte mir damals, vor Jahren, diese Musik zum Film an, hatte aber seitdem diese besagte Melodie wieder vergessen.  Erst beim erneuten Hören dieser CD im vergangenen Jahr fiel mir diese Melodie wieder auf, die Frank Wulff  und S. M. Reiss dem Mechthild-Text unterlegt haben.  Es ist ein anonymes französisches Lied aus der Renaissance mit dem Titel "Une jeune fillette".
 
Ist mit weiteren Notenbüchern zu rechnen? Wenn ja, wem wirst du dich jetzt zuwenden?
Möglich. Aber ich habe jetzt kein bestimmtes Projekt im Sinn. In der Schublade liegt zwar weiteres Material für ein möglichen zweiten Teil mit Liedern aus dem Schedelschen Liederbuch. Aber diese Sache muß noch gründlich reifen.
 
Was reizt dich so an der mittelalterlichen Musik, dass du ihr soviel Zeit widmest?
Meine musikalische Laufbahn begann ich als Knabensopran bei den „Pueri Cantores St. Bonifatius“ in Gießen. Für mich war es sehr erhebend, zusammen mit mehreren Kindern im Halbkreis vor einem riesigen Notenpult mit einem ebenso großen Gradualbuch zu stehen und die optisch reizvoll aussehenden Quadrat-Noten zu singen, die sich durch den Raum zwischen vier roten Notenlinien hinwegschlängelten. Mittelalterliche Musik spielte bei mir mal mehr, mal weniger eine große Rolle. Wäre ich in der klösterlichen Gemeinschaft vor vielen Jahren geblieben, hätte ich dort Choralforschung betreiben sollen. Doch als Zwanzigjähriger interessierte ich mich zu diesem Zeitpunkt nicht besonders für diesen Bereich. Zwischendurch hatten andere Musikrichtungen bei mir viel Raum eingenommen. Mitte der 1990er Jahre trat für mich die mittelalterliche Musik wieder in den Vordergrund und Hildegards Musik war es, die mich wieder stärker in diesen Bannkreis der Choralkunst zog.  Aber auch beruflich hat sie bei mir einen Sitz im Leben. Ich bin Dekanatsbeauftragter für Liturgie und Kirchenmusik, leite selbst jetzt eine Choralschola.  Und persönlich ist sie für mich ein wichtiger Ausgleich zu den anderen beruflichen Aufgaben.  Ich glaube, der besondere Reiz mittelalterlicher Musik macht wohl für mich die innenwohnende Kraft ihrer alten Melodien aus.


Das Interview führte Dr. Lothar Jahn.
Foto: Archiv www.minnesang.com
 
Mechthild-Liederbuch
 
Mechthild-Liederbuch,
erhältlich im Verlag der Spielleute

REZENSION DES MECHTHILD-NOTENBUCHS
von Dr. Lothar Jahn

Frank Wunderlich, bekannt als praktizierender Sänger geistlicher und weltlicher Musik des hohen Mittelalters ebenso wie als Autor diverser Notenbücher, hat im Verlag der Spielleute nun bereits sein viertes Notenbuch vorgelegt.

Nach den Werken der Sänger "von Obernburg" und Reinmar von Brennenberg sowie einer sowie einer Neuausgabe ein- und zweistimmiger Lieder aus der Sammlung des Dr. Hartmann Schedel folgt nun ein Einblick in das Werk Mechthilds von Magdeburg (ca. 1207 - 1282). Eigentlich ist der Schritt logisch für den hauptberuflich als Diakon arbeitenden Minnesänger, denn in Mechthilds Schaffen verbinden sich ebenso wie in seinem Schaffen die klösterliche und die höfische Kultur.

Mechthild von Magdeburg war, ähnlich wie die nahezu zeitgleich geborene Elisabeth von Thüringen, von adliger Abstammung, fühlte sich aber nicht wohl in der höfischen Pracht und wurde angezogen von der christlichen Armutsbewegung. Sie ging im Alter von etwa 20 Jahren nach Magdeburg und begann dort ein Leben als Begine. Auf Zuspruch ihres Beichtvaters Heinrich von Halle begann sie um 1250 mit der Aufzeichnung ihrer Texte, die ihre Gotteserfahrung zum Inhalt haben. Sie wurden im sechsbändigen Werk "Das fließende Licht der Gottheit" festgehalten. Frank Wunderlich nennt Mechthild die "Minnesängerin Gottes" und fand damit einen passenden Begriff. Zum einen ist der Begriff der Minne der rote Faden ihres Werkes, zum anderen sind die in (mittelnieder-)deutscher Sprache (nicht wie sonst üblich im kirchlichen Rahmen lateinisch) verfassten Texte höchst poetisch und liedhaft.

Die Minne ist bei Mechthild genauso vielschichtig zu verstehen, wie es Mitte des 13. Jahrhunderts im Minnesang üblich: Zum einen spiegelt sich die sehnsuchtsvolle und dienende Hinwendung des Ritters zur unerreichbaren Herrin im Verhältnis von der gequälten und an den menschlichen Körper gebundenen Seele zu Gott. Die tiefe Sehnsucht bestimmt das ganze Streben und Leben des Sängers. Zum anderen ist in dieser Grundkonstellation zweier ungleicher "Partner" auch das (geschlechtliche) Begehren aufgehoben, Mechthilds Sprachbilder tragen zuweilen deutlich erotische Züge. Eine Sublimation im Sinne der Durchsetzung einer höheren Moralität also, die ja auch den Minnesang deutlich prägt, der den triebgesteuerten, ungehobelten Kerl zum edlen Ritter formen möchte.

Mechthild preist Gott aber nicht nur mit der glühenden Emphase des Minnesängers, sie gibt auch vor, wie man "zer werlde leben sol" mit der Entschiedenheit des Spruchgesangs, wie er uns vor allem aus dem Werk Walthers von der Vogelweide präsent ist. Frank Wunderlich hat in seine Sammlung ein schönes Beispiel aufgenommen, das Kennern der Materie schon vom Album "Spruchgesang und Sachsenspiegel" (2009 ebenfalls im "Verlag der Spielleute" erschienen) bekannt ist: "Von zwein ungelichen wegen", trennt in sehr eindringlicher, hochpoetischer Sprache den Weg der Liebe vom Weg der Eitelkeit, in dem die "verborgene grimmekeit" mit ihrem "schlichten munt" regiert.

Notation ist zu Mechthilds Werk nicht überliefert. Dass diese Texte gesungen wurden, scheint angesichts ihrer lyrischen Form und den Ritualen des Klosterlebens aber schlüssig. Bei seinen Neuvertonungen setzt Wunderlich zum einen auf überlieferte geistliche Formeln, die in der klösterlichen Tradition immer noch ihren Platz haben, lässt sich aber auch von Hildegard von Bingens Werk inspirieren, ohne in die Falle zu laufen, deren hochartifiziellen Stil zu kopieren. Aus Mechthilds Werk spricht zwar auch Selbstbewusstsein, aber vor allem eine Demut, die eher mit Elisabeth als mit Hildegard vergleichbar ist. Wunderlich gelingt es hervorragend, Mechthilds Sprache in eine angemessene musikalische Form zu bringen. Im Anhang fügt er noch eine Melodie an, die sich stark absetzt: Es ist die Frank Wulffs Fassung von "Dy Minne", die Ougenweide auf ihrem Album "Herzsprung" (2010) dargeboten haben und die zu Ehren Ougenweides bei der Tribut-Veranstaltung im Sommer 2010 aus vielen Kehlen gesungen wurde, Wunderlich war selber als Interpret dabei (siehe Foto rechts, Fotograf: Jens Oliver Murer). Der im März 2010 verstorbene Frank Wulff hatte bei seiner Vertonung die traditionelle Melodie des französischen Liedes "Une jeune fillette" zugrunde gelegt, die Jordi Savall im Film "Die siebente Saite" gespielt hatte und die deutlich vom musikalischen Geist der Renaissance geprägt ist.
Da die überlieferten Handschriften ja leider keine Minnesängerinnen kennen, liefert Wunderlich hier wunderbare Ergänzungen zum Repertoire, die hoffentlich viel gesungen werden!

>> Verlag der Spielleute, 40 S., Euro 12,90






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